© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Links blinken, Mitte einordnen?
Dilemma II: Die Grünen wollen für Merkel-Wähler und Klima-Aktivisten attraktiv sein
Christian Vollradt

So komfortabel ihre Umfragewerte von bundesweit knapp unter 20 Prozent auch sein mögen, stecken die Grünen doch in einem Dilemma. Einerseits wollen sie nicht länger Juniorpartner einer Volkspartei sein, sondern selbst eine solche werden. Andererseits gilt auch: Die zu starke Ausrichtung an den bürgerlichen Wählern könnte zu Verlusten am linken Rand der eigenen Basis führen. Einerseits sollen bisherige Merkel-Wähler zu den Grünen überlaufen, andererseits ihnen aber die „Fridays for Future“-Aktivisten nicht massenhaft von der Fahne gehen (siehe im Beitrag oben). 

Wie heikel sich diese Gratwanderung zwischen bürgerlichem Auftreten und radikal-ökologischen Forderungen in der Praxis darstellt, zeigte sich in der jüngst aufgeploppten Debatte über Einfamilienhäuser. Ein grüner Bezirksamtsleiter in Hamburg hatte angekündigt, daß in neuen Baugebieten keine Einfamilienhäuser mehr ausgewiesen würden. Um den Flächenverbrauch zu reduzieren, solle dort künftig höher gebaut werden. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, hatte die Maßnahme des Parteifreunds „angesichts der dramatischen Wohnungsnot und der Tatsache, daß Boden endlich ist“, verteidigt. 

Doch nichts fürchten die Grünen mehr, als erneut das Verdikt „Verbotspartei“ angeheftet zu bekommen, das sich einst – Stichwort „Veggie-Day“ – als toxisch im Wahlkampf erwiesen hatte. Kein erhobener Zeigefinger, kein Eingriff in Fragen des persönlichen Lebensstils, hatte man gelobt. Die Person Hofreiter, schon optisch eine Verkörperung des Ur-Ökos, samt seiner Aussage, kurz vor der Wahl im Land der Häuslebauer, wo die Grünen und ihr Spitzenkandidat, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, mit 31 Prozent vor dem Koalitionspartner CDU führen – das ließ den Puls parteiintern, vor allem unter den Südwest-Realos steigen. 

„Aufregungsspirale im Vorwahlkampf“

Einfangen mußte es nun Parteichef Robert Habeck, der via Bild-Zeitung in die Charmeoffensive ging: „Das Einfamilienhaus wird immer einen Platz in Deutschland haben.“ Es sei für viele „ein Sehnsuchtsort, Sicherheitsversprechen, Lebenswunsch“. 

Allerdings machten Klimaschutz und Flächenverbrauch Anpassungen nötig, hieß es dann im besten Partei-Sowohl-Als-Auch. „Der Rest ist Aufregungsspirale im Vorwahlkampf“, versuchte Habeck die ungewollte Eskalation zu deckeln. Bloß keine Vorlage für den Gegner liefern.  

Geradezu „konservativ“ gab sich auch der – am linken Parteiflügel verortete – Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. „Vieles, das in unserem Land gut ist, wollen wir erhalten“, sagte er der Frankfurter Rundschau. Seine Wunschkonstellation („wenn ich es mir aussuchen könnte, sage ich sofort Grün-Rot“) ist derzeit illusorisch. Auf Distanz geht man jedoch zur Linkspartei. Denn ein Szenario „Rot-Rot-Grün“ würde im Wahlkampf nur den Schwarzen nützen.