© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Nicht mehr länger im Schongang
Organisierte Kriminalität: Deutschland will schärfer gegen Geldwäsche vorgehen / Rechtliche Bedenken in der Opposition
Jörg Kürschner

Es ist ein peinlicher Befund, den der Bundesfinanzminister einräumen mußte: „Geldwäsche ist in unserem Land ein ernstes Problem“, sagte Olaf Scholz (SPD). Seriösen Schätzungen zufolge werden hierzulande Jahr für Jahr rund 100 Milliarden Euro schmutziges zu legalem Geld gewaschen. Ein Umstand, der den italienischen Staatsanwalt und Mafia-Jäger Roberto Scarpinato das Fazit ziehen ließ: „Wäre ich Mafioso, würde ich in Deutschland investieren. Auch, weil ich hier nicht abgehört werden kann.“

Um das Verschleiern von kriminellen Profiten endlich wirksamer zu bekämpfen, hat der Bundestag soeben das Geldwäschegesetz verschärft. Bisher mußte das Vermögen aus bestimmten schweren Vortaten wie etwa Drogenhandel oder Schutzgelderpressung stammen, künftig reicht jede, auch eine bereits verjährte Straftat aus. Die Höchststrafe von fünf Jahren bleibt unverändert. Der CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak sprach in der Debatte über den Koalitionsentwurf von einem „wirklich scharfen Schwert im Kampf gegen Clan-Kriminalität und Terrorismus“, die Opposition befürchtet, die unbegrenzte Ausweitung der Vortaten überfordere die Behörden.

Geldwäsche und damit Clankriminalität effektiver zu begegnen, ist zwischen Koalition und Opposition im Bundestag im Grundsatz nicht umstritten. Es gibt aber Zwischentöne, etwa der Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke, die allerdings nicht auf der Rednerliste der Fraktion stand. Sie hält den Begriff Clankriminalität für „irreführend und diskriminierend“. Mit Razzien etwa im Berliner Bezirk Neukölln würde nur die „rassistische Karte im Sinne der AfD“ gespielt. Eine ganz andere Tonart schlug in der Debatte Jelpkes Fraktionskollege Friedrich Straetmanns an: „Ein Vollzugsdefizit ist programmiert.“ Auch in den Reihen der SPD werden immer wieder erhebliche Vorbehalte gegen den Begriff der Clankriminalität geäußert. So sah sich die frühere Neuköllner Bürgermeisterin und aktuelle SPD-Spitzenkandidatin bei den Abgeordnetenhauswahlen, Franziska Giffey, zu einem klaren Machtwort genötigt. „Ehrliche Politik beginnt damit, daß man sagt, was ist.“  Die SPD-Arbeitsgruppe „Migration und Vielfalt“ hatte in einem Antrag an den Parteitag gefordert, „Clan-Kriminalität als Konzept des Racial Profiling“ ersatzlos zu streichen. 

Neben den politischen Vorbehalten prägen rechtliche Bedenken die Diskussion über Geldwäsche und Clankriminalität. Während der Anhörung im Rechtsausschuß des Bundestags äußerte der Frankfurter Rechtswissenschaftler Matthias Jahn deutliche Kritik an dem Gesetzentwurf der Koalition. „Die in Aussicht genommene Regelung ist damit inhaltlich in der Gefahr, im Bereich von Vortaten aus dem Kreis der Massen- und Bagatellkriminalität unverhältnismäßig zu sanktionieren, da die Grundrechtsbeeinträchtigungen offensichtlich schwerer wiegen als die durchzusetzenden Belange“. 

Und der Universitätsprofessor, der als Richter am Oberlandesgericht auch auf praktische Erfahrungen verweisen kann, nannte ein Beispiel. „Zu den tauglichen Vortaten des Paragraphen 261 im Strafgesetzbuch würde bei der Umsetzung des Referentenentwurfs künftig auch der einfache Diebstahl einer Tafel Schokolade zählen. Ein 14jähriger, der sich die so erlangte Tafel Schokolade vom Vortäter verschafft, wäre demnach als Jugendlicher zu bestrafen“. Auch die Kreditwirtschaft befürchtet eine deutliche Zunahme von Verdachtsmeldungen, da künftig auch Bagatellstraftaten der Meldepflicht unterliegen. 

Immobilien im Millionenwert

Stichwort Beweislastumkehr. Zum Wesen eines Rechtstaates gehört die strafrechtliche Unschuldsvermutung. Der Staat muß also die Schuld eines Menschen nachweisen und nicht umgekehrt darf der Staat einen Menschen als Verbrecher abstempeln nach dem Motto, man werde schon etwas gegen ihn finden. So muß sich das Bundesverfassungsgericht demnächst mit der Frage beschäftigen, ob Immobilien bei Geldwäscheverdacht eingezogen werden dürfen, obwohl eine Straftat noch nicht erwiesen ist. Der Berliner Strafrechtler Martin Heger warnt vor einem Generalverdacht gegenüber Mitgliedern von arabischen Großfamilien. „Nicht jede Beschlagnahme hält einer richterlichen Überprüfung stand.“ 

Die Hauptstadt ist seit Jahren ein Schwerpunkt der Clankriminalität. Im Jahr 2018 wurden 77 Immobilien im Gesamtwert von mehr als neun Millionen Euro beschlagnahmt. „Neben Tatverdächtigen aus der arabischstämmigen Clankriminalität kommen jetzt auch Kriminelle mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit verstärkt in den Fokus. „Bei ihnen herrscht ein ausgeprägter Ehrbegriff, eine hohe Affinität zu Gewalt und Waffen und eine geringe Akzeptanz staatlicher Autorität“, beklagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) vergangene Woche. Dabei werden die Täter immer gerissener. Berliner Rechtsanwälte berichten von Zwangsversteigerungen von Kleingärten. Nachdem mehrere Gebote abgegeben worden seien, habe plötzlich ein fremder Mann mit Dolmetscher ein völlig überhöhtes Angebot erklärt und den Zuschlag erhalten. 

Clankriminalität ist nicht nur ein Berliner Problem, auch in Nordrhein-Westfalen und beispielsweise in ländlichen Gebieten Niedersachsens beschäftigt es die Staatsanwaltschaft. Die Länder haben deshalb eine engere Zusammenarbeit untereinander und mit dem Bundeskriminalamt vereinbart. Vor dem Amtsgericht Osnabrück muß sich dieser Tage ein 24jähriger wegen eines Schadens in Höhe von mehr als 350.000 Euro verantworten. Er soll Überweisungen eines Dritten angenommen und das Geld in der Kryptowährung Bitcoin angelegt haben – wissend, daß die Gelder aus gewerbsmäßigen Betrugstaten stammten. Für seine Dienste habe er im Schnitt acht Prozent Provision erhalten.