© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Sehenden Auges in die Katastrophe
Energiepolitik: In Texas waren vorige Woche Millionen Menschen ohne Strom- und Wasserversorgung / Sind die Windräder schuld?
Marc Schmidt

Wer an Texas denkt, hat viele Bilder im Kopf, aber keine Kältetoten und zugeschneiten Straßen. Normalerweise beträgt die Durchschnittstemperatur im zweitgrößten US-Bundesstaat im Januar plus 9,3 Grad, im Februar plus 11,6 Grad Celsius. Doch in diesem Jahr sah sich der öl- und gasreiche „Lone Star State“ einem starken „Winterstorm“ gegenüber, auf den Politik, Verwaltung, Bürger und Energienetze völlig unvorbereitet waren.

Die etwa 80 Toten als Folge tagelanger Schneefälle bei zweistelligen Minustemperaturen in verschiedenen Landesteilen sind vor allem auf tagelange Ausfälle von Strom und Heizung in Privathäusern und öffentlichen Einrichtungen zurückzuführen. Gleichzeitig ist ein politischer Kampf über die Gründe und die richtigen Rückschlüsse aus dem Zusammenbruch der Infrastruktur entbrannt, der auf beiden Seiten die tatsächlichen Hintergründe des Zusammenbruchs der Infrastruktur verkennt.

Ad-hoc-Meldung der Essener RWE AG

Der argumentativ immer wieder angeführte Ausfall eingefrorener Windenergieanlagen trägt an der Gesamtlage keine Schuld. Die maximale Kapazität an Ökostrom inklusive Photovoltaik beträgt in Texas sieben Prozent. Da diese nicht bevorzugt einspeisen, ist diese Kapazität zusätzlich durch konventionelle Kraftwerke gedeckt. Allerdings sorgte der Ausfall der Windenergieproduktion in Texas und den benachbarten Bundesstaaten für eine Ad-hoc-Meldung der Essener RWE AG an der Börse. Deren Jahresergebnis wird durch die Schäden an ihren US-Anlagen sowie die Produktionsausfälle belastet werden.

Zentraler Faktor für die tagelang unterbrochene Energieversorgung für mehr als 25 Prozent der texanischen Bevölkerung ist die Netzstruktur. Texas, seit mehr als 25 Jahren republikanisch regiert, hat das landesweite Energienetz für 93 Prozent seines Staatsgebiets vom amerikanischen Gesamtstromnetz abgetrennt, um sich von der US-Netzregulierung bewußt zu lösen. Das texanische Netz selbst wird von der staatseigenen Agentur Ercot gemanagt, ein Energieaustausch mit dem Rest der USA ist nicht mehr möglich. Bereits vor zehn Jahren zeugte ein mehrstündiger Stromausfall in Texas von der Anfälligkeit dieser Insellösung.

Der aktuelle Katastrophenfall resultiert aus Wechselwirkungen verschiedener Faktoren. Die texanische Netzsteuerung ist veraltet. Sie kann auf schnell ansteigende Lasten nur langsam reagieren, da die verbundene Steuerung der Produktionsanlagen schwerfällig ist. Um einen stark ansteigenden Bedarf zu decken, muß die Produktion in Kraftwerken gesteigert werden. AKW und Kohlekraftwerke benötigen mehrere Stunden Vorlauf, was bei überraschenden Anstiegen zu langsam ist. Der aktuelle Mehrbedarf resultierte aus einem überraschend starken Temperaturrückgang an einem Wochenende. Die Texaner blieben zu Hause, der Verbrauch stieg durch Licht, Heizung und Klimaanlagen auf maximaler Leistung.

Diese Situation würde im texanischen Netz normalerweise über flexible Erdgaskraftwerke gelöst, welche allerdings wegen des Temperaturabfalls nicht funktionsfähig waren. Pumpen und Leitungen waren in diesen Kraftwerken bereits eingefroren, als der Strombedarf stieg. Daraus resultierten weitere Probleme des Übertragungsnetzes, welches in trockenen Gegenden bis heute zum Teil Holzmasten einsetzt.

Durch den Temperatursturz froren Übertragungsleitungen ein, welche vom Netzbetreiber nicht durch eine Erhöhung der Stromdurchleitung enteist werden konnten. Aufgrund der Kombination aus steigenden Verbräuchen, fehlenden Kapazitäten und teilweise brechenden Leitungen entstand ein Ungleichgewicht im Netz. Nach ersten regionalen Ausfällen entschloß sich Ercot, ganze Städte und Regionen vom Netz abzuwerfen, um einen Blackout in Texas insgesamt zu verhindern.

Benzin- und Dieselautos als einzige beheizbare Orte

In den betroffenen Landesteilen gab es entsprechend auch einen Ausfall der meisten Informationsmöglichkeiten über TV, Internet und Smartphone. Die Reparaturarbeiten an den Kraftwerken und Netzen sowie die Mobilisierung weiterer Kapazitäten zogen sich über mehrere Tage hin, was der texanischen Regierung wie dem Netzbetreiber weitere Kritik einbrachte. Viele Texaner nutzten zunächst ihre Benzin- und Dieselautos als einzige beheizbare Orte, da die Temperaturen auch in den Häusern im negativen Bereich lagen. Allerdings machten die Straßenverhältnisse und die Stromausfälle an den Tankstellen vielerorts ein Nachtanken unmöglich.

Mit steigenden Temperaturen von aktuell tagsüber 15 bis 20 Grad Celsius ist die Stromversorgung landesweit wieder hergestellt – doch die wirtschaftlichen Kosten sind gewaltig: Neben den Schäden an Kraftwerken, falsch ausgelegten Ökoenergieanlagen und Übertragungsleitungen rechnen die Versicherer mit einem Forderungsvolumen von mehreren Milliarden Dollar an Gebäudeschäden. Die Kombination aus Stromausfall und Minusgraden hat durch gefrierendes Gas und Wasser zahlreiche Leitungen in Gebäuden gesprengt.

Zudem droht etwa 15 Prozent der Texaner eine weitere negative Konsequenz: Sie haben bei privaten Anbietern einen Tarif gewählt, der den Preis an den texanischen Strombörsenpreis koppelt. Viele private Haushalte haben bereits Nachzahlforderungen zwischen 10.000 und 20.000 Dollar für die vergangenen Wochen erhalten – bei niedrigem Angebot steigt der Preis exponentiell. Im Schnitt ist Haushaltsstrom in Texas mit 12,2 US-Cent pro Kilowattstunde viel billiger als im „grün-ökologischen“ Kalifornien (22,3 US-Cent). Der Großhandelspreis war förmlich explodiert.

An Texas zeigen sich die Folgen eines vollständigen wie auch partiellen längeren Netzausfalls eindrucksvoll. Während auch Deutschland auf einen Blackout sehr schlecht vorbereitet ist (JF 5/21), ist ein reiner Wintereinbruch tendenziell nicht ausreichend. Die noch bestehenden konventionellen Kraftwerkskapazitäten sind winterfest und wie das Stromnetz insgesamt besser und schneller steuerbar. Auch die deutsche Gebäude- und Leitungstechnik fällt bei hohen Minusgraden in wesentlich geringerem Umfang aus. Allerdings läuft insbesondere Norddeutschland nach der bevorstehenden weiteren Ausdünnung des AKW- und Kohlekraftwerkparks deutlich Gefahr, kurzzeitige Stromabschaltungen in Industrieunternehmen oder einzelnen Regionen hinnehmen zu müssen.