© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Dorn im Auge
Christian Dorn

Sonnabends auf dem Weg zur neuen Rewe-Filiale, wo einst Kaiser’s war und wo sich jetzt eine Schlange wie zu DDR-Zeiten gebildet hat. Am Wegesrand höre ich einen Mann über sein Mobiltelefon dozieren: „Wenn’s Kaiser’s noch gäbe – dann würde es Deutschland heute deutlich besser gehen.“ Also doch nicht die Kaufhalle. Denke mir, daß sich das Motto „Deutschland ist Geschichte“ genauso gut als Werbespruch nutzen ließe, etwa für den wunderbaren Wochenkalender „Deutsche Geschichte“, herausgegeben von dem „Kulturfritzen“ Marc Lippuner (Elsengold-Verlag). 


Nachts finde ich, als ich heimkomme, im Briefkasten ein kafkaesk anmutendes Behördenschreiben (auf dem Briefumschlag das Motto: „Berlin / Gemeinsam gegen das Coronavirus!“), in dem mich das Bezirksamt – wegen eines gegen mich eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahrens – zur Klärung eines Sachverhaltes auffordert, da ich unzulässigerweise meine eigene Wohnung verlassen und damit gegen gleich mehrere Paragraphen der „SARS-CoV-2-InfSchMV“ (Infektionsschutzmaßnahmenverordnung) verstoßen hätte. Ich überlege nicht lange, wie ich mir darauf einen Reim machen soll: „The place we’ll never meet / Is named Lock-Downing-Street.“ Und weil mir die Bundesregierung gleich eine Verjüngungskur geschenkt hat: „Das Corona-Kabinett war wirklich fleißig / Auch für mich: 50 ist das neue 35.“ Dennoch werde ich auf den fast menschenleeren U-Bahnhöfen seltsam angesehen: „Und überall man mich anstiert / Tatsächlich bin ich’s: nicht maskiert!“


An der nächsten Straßenecke hängt an der Laterne eine handbeschriebene Tafel in Großbuchstaben: „Angela (olle Kaltmamsell) mach mal wieder Wissenschaft“. Wir denken uns (mit Heribert Prantl): „Endlich einfach mal ausprobieren / Anästhesieren, durchregieren.“ Doch jetzt ganz im Ernst: „Sakrileg: auf Merkel schimpfen / Stell dich selbst an, laß dich impfen!“, „Ausgereicht wird dieses Serum / Dort am Merkelschen Museum.“ Doch Vorsicht: „‘Märkisch’ aber ist Geschichte / Maghrebs Söhne schreib’n hier Gedichte.“ Ohne diese Fördermaßnahmen für „Geflüchtete“ müssen die Pandemie-Geister auskommen: „Das Virus holt jetzt die Verwandten / Sie stell’n sich vor als die Mutanten.“


Wirklich spanisch kommen mir derweil die Nachrichten am Montagmorgen vor mit den in Flammen stehenden Straßen Barcelonas, Madrids und andernorts, kürzer als jeder Rap-Text: „Pablo Hasél / der Müll brennt schnell.“