© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Steinmeiers Irrfahrten in die deutsche Geschichte
Praktizierter Zynismus
(ob)

Wie unlängst der mißratene Versuch zeigte, das Gaspipeline-Projekt in der Ostsee mit Sühne für „deutsche Schuld“ am Krieg gegen Stalins Sowjetunion zu rechtfertigen, landet Frank-Walter Steinmeier bei seinen Geschichtsausflügen stets zielsicher im Fettnapf. Den vorerst peinlichsten Tiefpunkt erreichte der Bundespräsident mit seiner Potsdamer Ansprache zum 30. Jahrestag der bis 1990 von ihm bekämpften Wiedervereinigung, die ein frei erfundenes Schreckbild vom wilhelminischen Kaiserreich malte. Derart plumpe Klischees bringen selbst jene Neomarxisten in Wallung, die prinzipiell begrüßen, daß Steinmeier mit dieser bizarren Geschichtslektion „Reichsbürger, Identitäre und die AfD aus dem guten Geist des heutigen Gesamtdeutschland ausgrenzt“ (GegenStandpunkt, 4/2020). Linksaußen stört man sich jedoch weniger am präsidialen Phantasma des Bismarck-Reiches als am „praktizierten Zynismus“ seiner Kirchentags-Rhetorik, die die „Erledigung und Eingemeindung des DDR-Staates“ zum „zwischenmenschlichen Großereignis“ umdeutet. Zugleich halte er seinen Landsleuten einen „eigentümlich negativen Patriotismus mit erhobenem Zeigefinger unter die Nase“, dem zufolge „Deutschsein“ sich erschöpfe „in besonderem Respekt vor anderen, die der Präsident ins eigene Volk hineingenommen wissen will“. 


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