© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Mandalas ausmalen als letzter Ausweg
Multikulti, Inklusion, „Niveaulimbo“: Erfahrungen einer Lehrerin an einer Berliner „Brennpunktschule“
Jan Schad

Die Realität von „Multikulti“ spielt sich nicht in öko-linken Wohlstandsvierteln ab, wie dem Prenzlauer Berg oder Friedrichshain (Zitat Holiday Check: „kreativer Szenestadtteil“, „alternative Lebensformen“), sondern maßgeblich in Gegenden wie Neukölln, Duisburg-Marxloh, Offenbach. Offenbach wurde im Juli 2017 von der Frankfurter Rundschau als „Spitze bei Integration“ bejubelt – einfach, weil es den höchsten Anteil an Migranten in Deutschland hat (60,8 Prozent). Dies sei „vorbildlich“. Der grüne Staatssekretär Josef Dreiseitel ermunterte andere Städte, gleichzuziehen. Allerdings kommen in Offenbach auf einen Einwohner 12,9 Straftaten jährlich, Sexualverbrechen sind 2019 um 12 Prozent gestiegen, Drogendelikte um 28 Prozent, organisierte Kriminalität ist virulent. 

Die „vorbildliche“ Entwicklung solcher Stadtteile bündelt sich wie durch ein Brennglas an den dortigen öffentlichen Schulen. Das vorliegende Buch „Leaks aus dem Lehrerzimmer“ handelt von einer solchen „Brennpunktschule“. Die Lehrerin Katha Strofe berichtet von ihren Erlebnissen an der von ihr so bezeichneten „Grundschule des Grauens“ in Berlin, die einen Migrantenanteil von 90 Prozent aufweist. Aus über fünfzig verschiedenen Nationen stammen die „Willkommenskinder“. Dazu gesellen sich „Inklusionskinder“ mit geistig-kognitiven Einschränkungen. Das sonderpädagogische Förderpersonal für letztere fehlt. Sie sind fester Bestandteil der Regelklassen, so wie der aggressive Abdul, der auch noch prompt zum Schulsprecher gewählt wird. 

Anfänglicher Enthusiasmus weicht totaler Desillusion

Der Name der Autorin ist ein Pseudonym, genauso wie der „Kaspar-Hauser-Grundschule“ genannte Lernort eine Verfremdung ist. „Die Geheimhaltungsklausel in meinem Arbeitsvertrag sagt, ich darf dieses Buch nicht schreiben. Mein Gewissen sagt, ich muß dieses Buch schreiben“, bekennt Strofe. Die 32jährige Lehrerin, die mit viel Enthusiasmus die Herausforderung an der schwierigen Schule aufnehmen wollte, erzählt nüchtern. Sie berichtet von Dauerlärm, vom oftmals gänzlich scheiternden Unterricht, von völliger Respektlosigkeit, aggressivem Verhalten und vom Rassismus der „Willkommenskinder“. Ein arabischer Junge weigert sich, neben einem schwarzen Mitschüler zu sitzen, weil Schwarze „Kackhaufen“ seien. Eine türkische Schülerin mißtraut allen Deutschen. 

Gnadenlos naiv ist das Bekenntnis der Akademikerin Strofe, daß sie Rassismus nur bei „meist männlichen, weißen Neonazis“ vermutet hatte und nicht bei „People of Colour“. So hatte sie es in „Antirassismus-Workshops“ an  der Uni gelernt, berichtet sie. Ebenso ist es mit Antisemitismus. Das Basteln von Weihnachtssternen im Unterricht führt zum Eklat, weil sich ein muslimischer Vater über die „Judensterne“ aufregt. 

Weniger verfänglich ist das Anfertigen simpler Namensschilder, das dafür eine ganze Schulstunde in Anspruch nimmt. Das Fach „Deutsch als Fremdsprache“, das die meisten Schüler bitter nötig hätten, fällt ständig aus wegen Personalmangels und des hohen Krankenstands der desillusionierten Lehrer.Die Kommunikation mit den Erziehungsberechtigten der oft ihre völlige Respektlosigkeit demonstrierenden Schüler wird durch Sprachbarrieren oder schlicht wegen mangelnden Interesses der Elternseite verhindert. Klausuren werden zunehmend vereinfacht, um bloß niemanden „zurückzulassen“. Die guten Schüler steigen bei den immer geringeren Anforderungen innerlich aus und arbeiten ebenfalls nicht mehr mit. Am Ende gibt auch Strofe auf und läßt als Beschäftigungstherapie die Kinder Mandalas ausmalen.

Bemerkenswert ist, daß sich bei den Schilderungen Strofes echte Erschütterung beim Lesen gar nicht mehr einstellen will. Man hat dergleichen schon zu oft gehört – ohne daß wirksame Konsequenzen folgten. Auch Strofe behandelt das Thema rein deskriptiv, ohne die gesellschaftspolitischen Förderer dieser Zustände zu benennen. 

Bereits 2006 war die Neuköllner Rütli-Schule zum landesweit berüchtigten Menetekel einer falschen Einwanderungspolitik geworden. Ob Rütli- oder „Kaspar-Hauser-Schule“: Das Problem besteht nicht nur fort, es verschlimmert sich, weil es offenbar auf grundsätzlichen, politisch-ideologischen Fehlannahmen bezüglich Zuwanderung, „Multikulti“, „Gleichheit“ und „Inklusion“ basiert, die nicht mehr hinterfragt werden sollen. 

Die zwangsläufige Folge ist „Niveau-Limbo“ (Strofe). Das ist der allerkleinste gemeinsame Nenner, was Umgangsformen und Leistung angeht. Bedenkt man obendrein die Lockdown-Folgen für die Bildung, sind große Teile ganzer Schülergenerationen als verloren zu betrachten. Eine Katastrophe für ein Land, dessen einzige Ressourcen Wissen und Innovation sind.

Katha Strofe: Leaks aus dem Lehrerzimmer. Mein Jahr als Lehrerin an der Grundschule des Grauens. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2020, broschiert, 208 Seiten, 12,99 Euro