© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Eine PCR-Pandemie?
Wie die Teststrategie die Statistiken beeinflußt
Mathias Pellack

Hätten wir eine Pandemie, wenn es keinen PCR-Test gäbe? In verschiedenen Medien herrscht der Zweifel. Kritische Nachfrage ist die Triebfeder der Wissenschaft, doch schießt sie manchmal über das Ziel hinaus. Die Frage nach den PCR-Tests erinnert dabei an eine Philosophiestunde. Wenn im Wald ein Baum umfällt und niemand hört es – hat dieser ein Geräusch erzeugt? Sie dient dazu, den Unterschied zwischen unserer erfahrenen Welt und der interpretierten Welt der Naturwissenschaften aufzuzeigen. Die Krux liegt darin, was ein Geräusch sei. Die Antwort ist natürlich: eine von unserem Sinnesapparat und dem dahinterliegenden Nervensystem verarbeiteter Reiz, ausgelöst durch einen Schallimpuls – letztlich eine Interpretation.

Hätten wir keine Ohren, könnten wir das Fallen nicht hören. Der von Victor Corman und Christian Drosten an der Charité entwickelte PCR-Test dient uns in diesem Fall wie unsere Ohren als Erkenntniswerkzeug. Wie eine Lupe hilft er uns Dinge zu sehen, die wir mit bloßem Auge nicht erfassen können. Ohne ihn könnten wir nur die Auswirkungen des Virus beobachten oder müßten aufwendigere Verfahren nutzen.

Die PCR – kurz für Polymerase-Kettenreaktion – wurde 1983 erfunden. Sie ist der Standard zum Nachweis einiger Krankheiten wie MRSA, Chlamydien oder HIV. Sie vervielfältigt mit jedem Durchlauf das eingegebene Erbgut (Ct-Wert; Potenzieren), bis dieses sich sichtbar machen läßt. Dabei entstehen auch unerwünschte Beiprodukte. Wie unsere Ohren, die auch nur einen Teil aller Schallwellen hören können, hat PCR ihre Grenzen, die auch schon ihr Erfinder Kary Mullis kannte. Er sagte 1993 in bezug auf HIV sinngemäß: Wenn jemand dieses Virus überhaupt mit PCR finden konnte, so kann er, wenn er es „richtig“ macht, fast alles in jedem finden. Das sei letztlich eine Frage der Interpretation. So steigt die Wahrscheinlichkeit, daß die PCR das fragliche Viruserbgut findet mit jedem Durchlauf. Wie die Geräusche, die der Baum beim Fallen erzeugt, für uns ein Hinweis auf den Sturz des Baumes sind, so ist das positive PCR-Test-Ergebnis ein Hinweis – aber kein Beweis – auf das Vorhandensein des Virus. Daß sie nicht anschlägt ist umgekehrt auch kein Beweis, daß es nicht vorhanden ist.

Meiste Fehler geschehen bei Probennahme und -transport

Bei der Anwendung dieses Werkzeugs kann einiges schiefgehen, wie auch Beispiele von vermeintlichen „Superspreading-Events“ zeigen, die sich hinterher als Testfehler entpuppten. So listet der Blogger FrankfurtZack auf Twitter weltweit 34 fehlerhaft bewertete Ereignisse von August bis November. In der Mehrzahl waren dabei verunreinigte Proben das Problem. Es zeigten sich aber auch Fälle, in denen überarbeitete Labormitarbeiter Fehler bei der Testung machten. Oftmals fiel den zuständigen Gesundheitsämtern eine ungewöhnliche Häufung auf, weshalb ein zweiter Test angeordnet wurde, der dann negativ verlief.

Selbst wenn die Testprozedur im Sinne des Entwicklers korrekt durchgeführt wird, bleibt aber immer eine Rest-Wahrscheinlichkeit, die Virus-RNA in der Probe nicht zu finden, obwohl die Person angesteckt ist (falsch negativ). Der Schuß des Jagdgewehrs könnte gerade lauter sein als der Aufschlag des Baumes. Genauso ist es möglich, RNA zu finden, obwohl das Virus nicht in ausreichender Menge für eine tatsächliche Ansteckung im Körper des Getesteten vorhanden ist (falsch positiv). Gleichsam fiel kein Baum um, sondern ein Telegrafenmast.

Trotz dieser Hochtechnologie, deren Präzision fortlaufend verbessert wird, besteht also ein nicht unerhebliches Restrisiko, daß Ergebnisse fehlerhaft sind. Um rechtliche Folgen zu minimieren, schreiben alle Anbieter auch in den Beipackzetteln von nicht-corona-spezifischen PCR-Tests, daß diese allein kein diagnostisches Ergebnis erbringen. Erst der Arzt, der eine PCR bewertet, unterscheidet Infizierte von Nicht-Infizierten.

Interessant für unsere Fragestellung, ob es ohne PCR-Test auch eine Pandemie gäbe, sind deshalb die falsch positiven Fälle. Hersteller und Ärzte wissen sehr gut um die Ungenauigkeiten. Der Gesetzgeber schreibt daher vor, für alle Tests die Werte der Spezifität und der Sensitivität zu ermitteln. Die Spezifität zeigt, wie wahrscheinlich ein Test tatsächlich negativ ist, wenn jemand nicht infiziert ist – daß der Test also nicht „falsch positiv“ ist. Die Sensitivität zeigt, wie wahrscheinlich ein Test tatsächlich positiv ausschlägt, wenn das Virus vorhanden ist – daß also kein „falsch negatives“ Ergebnis zustande kommt. Gute PCR-Tests erreichen mittlerweile eine Spezifität von über 99 Prozent. 

Der Einfachheit halber nehmen wir eine einprozentige Wahrscheinlichkeit für ein falsch positives Ergebnis an. Das bedeutet, daß gut ein Prozent der Getesteten unnötig in Quarantäne geschickt werden, wenn kein zweiter Test gemacht wird. Das RKI empfiehlt zwar einen zweiten Test bei einem positiven Ergebnis, verpflichtet sind die Labore aber nicht. Kreuzreaktionen mit anderen Viren (E229) lassen bis zu acht Prozent der Sars-CoV-2-PCR-Tests positiv ausschlagen, wie Versuche der Deutschen Akkreditierungsstelle zeigten.

Hoher Anteil an fehlerhaften Quarantänen möglich

Damit bleibt, wenn man nur die PCR betrachtet, die Möglichkeit bestehen, daß die Pandemie ein Artefakt dieses 2020 entwickelten Erkenntniswerkzeugs sein könnte. Indem die Zahl der Tests erhöht wird, so die Logik, wird die Zahl der positiven Ergebnisse ebenfalls größer. Gegen dieses Argument kann das RKI aber die Positivenquote in Stellung bringen. Diese bewegte sich jetzt im Winter zwischen zehn und 15 Prozent und sank in Kalenderwoche fünf auf 7,8 Prozent ab. Läge die Positivenquote also bei einem Prozent, könnte es tatsächlich sein, daß gar kein Sars-CoV-2 mehr unterwegs ist. Die Quote von 15 Prozent Positiven läßt sich damit jedoch nicht erklären.

Im Umkehrschluß bedeutet das auch, daß bei einer Positivenquote von fünf Prozent fast ein Fünftel davon unnötig in Quarantäne geschickt werden könnte. Sinkt die Positivenquote ab, würde deren Anteil weiter steigen. Letztlich böte auch eine Pflicht zur Überprüfung eines positiven Tests keine 100prozentige Sicherheit, daß Sars-CoV-2 im Spiel ist. Klarheit könnte eine Studie zur Ermittlung der Spezifität der PCR bieten. Da eine Infektion laut dem novellierten Infektionsschutzgesetz (IfSG) „die Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus“ bedeutet, sind die rechtlichen Einschränkungen basierend auf den Zahlen des RKI zweifelhaft. Von „nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2“ Infizierten zu sprechen ist irreführend.

Mehr Tests bedingen mehr Möglichkeiten für fehlerhafte Ergebnisse. Doch wie bei dem Baum im Wald, dessen Umfallen wir mit unseren Ohren recht gut einordnen können, so leistet auch der PCR-Test seinen Teil.