© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Ganz ohne Starallüren
Schöne neue Welt: Virtuelle Influencer und Musiker machen realen Models und Sängern Konkurrenz
Boris T. Kaiser

Erinnern Sie sich noch an Robert T-Online? Mit der von einer Düsseldorfer Werbeagentur kreierten, animierten Werbefigur wurde einst der Börsengang der Telekom beworben. Später mußte der digitale Krawattenträger mit der blonden Föhnwelle auch DSL-Anschlüsse verkaufen und zusammen mit dem Moderations-Knallbonbon Enie van de Meiklokjes auftreten, bevor er im Jahr 2003 im Zuge der Plazierung von „T-Com“ als eigene Telekom-Marke endgültig in die Reklame-Rente geschickt wurde. 

Wirklich beliebt war Robert nie. Dies könnte auch daran gelegen haben, daß das deutsche Kommunikationsunternehmen mit dem aufgedrehten Yuppie als digitalem Marktschreier seiner Zeit um einiges voraus war. Heute setzen immer mehr Firmen auf virtuelle Influencer. Sogar so viele, daß die künstlichen Werbegesichter den realen Models, Schauspielern und Moderatoren regelrecht Konkurrenz machen. 

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die animierten Damen und Herren sind billiger und haben keine Starallüren. Dafür bescheren sie ihren Erschaffern und Auftraggebern mitunter mehrere Millionen Euro an Einnahmen im Jahr.

Die Marken, die die neuen Beeinflusser für sich arbeiten lassen, sind nämlich keinesfalls irgendwelche Klitschen. So hat das digitale Model Miquela Sousa bereits in Kampagnen von Prada und Burberry mitgewirkt und sogar eine eigene Hit-Single auf den Musikmarkt gebracht. Entwickelt wurde die kokette, täuschend echt wirkende Brünette von einem Start-up in Los Angeles. Als Miquela 2016 erstmals auf Instagram auftauchte, wußte niemand, daß es sich bei ihr um eine rein virtuelle Figur handelt. Zwei Jahre lang ließ man die Nutzer im ungewissen über den wahren Hintergrund des Models. 2018 dann die Enthüllung: „Ich bin kein Mensch, aber bin ich trotzdem eine Person?“, fragte Miquela daraufhin ketzerisch auf ihrem Account @lilmiquela, dem mittlerweile über 2,9 Millionen Abonnenten folgen.

Kommunikation mit den Fans soll möglich werden

Echt sind in jedem Fall die Einnahmen, die die künstlich erschaffenen Influencer generieren. Für einen Post zahlen Firmen rund 6.300 Euro an die Erschaffer des virtuellen Topmodels. Das Label Tommy Hilfiger kündigte bereits 2020 an, künftig verstärkt auf digitale Avatare und virtuelle Modeschauen setzen zu wollen. 

Die Einschränkungen durch die Corona-Krise haben den keim- und im Idealfall auch virenfreien Computerwesen einen weiteren Erfolgsschub verpaßt. Wo es kein reales Publikum vor Ort gibt, da braucht es schließlich auch keine realen Models auf dem Laufsteg mehr.

Das Konzept ist so überzeugend, daß es weit über die Welt der Mode und von Instagram hinaus seine Anhänger findet. Der japanische Elektronikkonzern Sony hat kürzlich die Sängerin Madison Beer „digitalisiert“. Virtuelle Kopien von real existierenden Persönlichkeiten sind ein weiterer Trend eines immer irrealer werdenden Zeitalters. 

Ganz neu ist auch diese Erscheinung freilich nicht. In der Vergangenheit gab es bereits mehrfach Auftritte von Künstlern, die etwa als Hologramme in Musikvideos oder sogar auf Konzertbühnen auftauchten. Allerdings handelte es sich dabei in der Regel um „special appearances“ von Stars, die im realen Leben bereits verstorben waren. So ließ US-Rapper Snoop Dogg 2012 beim „Coachella-Festival“ seinen damals bereits seit 15 Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilenden Rap-Kollegen Tupac mittels Hologramm-Technik auferstehen. Der britische Sänger Damon Albarn gründete mit den „Gorillaz“ schon 1998 eine komplett aus Comic-Figuren bestehende Band.

Im Vergleich zu dem, was heute technisch möglich ist, wirken die damaligen Innovationen fast schon wie Spielereien. Den Schöpfern der „künstlichen Intelligenz“ auf den Showbühnen, Laufstegen und bei Instagram kommt zudem entgegen, daß die junge Zielgruppe dank Photoshop und Co. an hochgradig bearbeitete Bilder bereits gewöhnt ist. 

Entwickler arbeiten derweil an der nächsten Stufe des makellosen, digitalen Menschen, der dann in Kombination mit Chatbots der neuesten Generation nicht nur gut aussehen, sondern mit jedem einzelnen seiner Bewunderer individuell kommunizieren kann.