© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Corona-Politik
Aus dem Ruder gelaufen
Dieter Stein

Inzwischen fällt die Zustimmung zur Corona-Politik rapide. Immer massiver treten die Kollateralschäden eines Dauerlockdowns zutage, dessen Sinn sich den Bürgern immer weniger erschließt. In den Innenstädten macht still und leise ein Geschäft nach dem anderen endgültig dicht. Während die Bänder der die deutsche Wirtschaft dominierenden exportorientierten Industrie kaum stillstanden, sind Klein- und Mittelständler in Handel, Gastronomie, Kultur und Touristik die Hauptträger der Folgelast einer Politik, die „in ihrem Corona-Furor jedes Maß verloren“ habe, wie der Staatsrechtler Dietrich Murswiek in einem Aufsatz für die Welt vernichtend urteilt. Die Selbstmorde, die in Depression Getriebenen, die ohne Schulunterricht verwahrlosenden Kinder sind ungezählt und stehen nicht im Fokus.

Sinnbild einer aus dem Ruder gelaufenen Verbotspolitik sind Polizeiwagen, die jüngst in Hamburg einen Jugendlichen mit Blaulicht über eine Parkwiese verfolgten, der sich nicht an Hygieneregeln gehalten hatte, der Zwang für Jogger in einigen Innenstädten, beim Laufen Maske zu tragen, und „Verweilverbotszonen“, in denen alte Leute beim Spazieren nicht einmal Pause auf einer Parkbank machen dürfen. Ein Regelwerk, „das noch die Vernünftigsten im Land in den Wahnsinn treibt“ (Julian Reichelt in der Bild).

Obwohl uns Deutschen noch immer Ordnungssinn und „Vorsprung durch Technik“ (Audi) nachgesagt werden, blamiert sich die Bundesregierung mit einer chaotischen Impfstrategie. Zu wenig und falscher Impfstoff. Teils konfuse Registrierung von Impfwilligen, die sich verzweifelt die Finger wund wählen, um einen Termin zu ergattern.

Währenddessen exerziert das von großspurigen EU-Bürokraten verhöhnte Großbritannien vor, wie es in beeindruckendem Tempo bereits über 20 Millionen Bürger impfen konnte. 100.000 freiwillige Helfer arbeiten mit Hauptamtlichen gemeinsam im Akkord in den 1.500 Impfzentren – auch dank rechtzeitiger und ausreichender Bestellung von Impfstoffen, wozu weder Berlin noch Brüssel in der Lage waren. 

Boris Johnson kann deshalb für die Insel eine klare Öffnungsstrategie verkünden: Ab 12. April dürfen alle Geschäfte, Museen, Bibliotheken und Sportstudios öffnen, ab 21. Juni sollen alle Restriktionen fallen –  in Deutschland wird hingegen der Lockdown weiter verlängert, wenn auch einige Maßnahmen durch Ministerpräsidenten kassiert werden.

Dietrich Murswiek hält schon jetzt die Bindung des Lockdowns an willkürliche Inzidenzwerte für „irrational und verfassungswidrig“. Spätestens wenn die Gruppe der Alten und gesundheitlich Vorbelasteten weitgehend durchgeimpft ist – was bald der Fall sein müßte –, fehlt deshalb jede vernünftige Begründung, die absurden kollektiven Einschränkungen der Grundrechte weiter aufrechtzuerhalten.