© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Zu radikal zum Regieren
Linkspartei: Neuer Vorstand, alter Richtungsstreit
Paul Leonhard

Die linken Systemveränderer dümpeln in der Wählergunst zwar bei lediglich sieben Prozent vor sich hin, trotzdem wollen nicht wenige von ihnen künftig mitregieren. Nicht gerade in der führenden Rolle wie in Thüringen, sondern lieber in der des kleinen Partners wie in Berlin. Und machen es die Grünen in Sachsen nicht vor, wie man trotz minimaler Wählerstimmen wichtige Regierungsposten abfassen kann, weil in diesem Fall die Sachsen-Union nichts mehr fürchtet als die Alternative für Deutschland?

Schaut nach Berlin, lautet das Signal, das vom Linken-Bundesparteitag, der Freitag und Sonnabend als „Parteitag neuen Typus“ im alten Berliner Postbahnhof stattfand, ausgehen soll. Aber die Rufe nach „Aufbruch“ blieben im fast leeren Saal ohne Echo, weil hier nur die Reden aufgezeichnet wurden, die meisten der rund 600 Online-Delegierten aber in ihren Wohnstuben saßen.

Die Prämissen, an denen sich der rot-rot-grüne Senat orientiert, sollen bald für ganz Deutschland gelten. Dann würden die Träume der Einheitssozialisten endlich wahr. Wie die erreicht werden sollen, wurde auf dem Strategieparteitag in Kassel vor einem Jahr deutlich gesagt: den parlamentsfixierten Abgeordnetenbetrieb schwächen, Informationen und Staatsknete abgreifen und außerparlamentarischen Bewegungen zuspielen, das Interesse der Medien für sozialistische Propaganda nutzen.

Genau ein Jahr ist es auch her, daß die Linke die CDU vorführte, indem sie die Thüringer Christdemokraten zu einem Solidarpakt gegen die AfD zwang, damit Vorzeige-Genosse Bodo Ramelow entgegen dem Wählerwillen den Freistaat weiter regieren kann. Von einem „Fortschritt von historischem Ausmaß“ sprach damals Linken-Chefin Katja Kipping: „Wir haben es geschafft, der CDU unser Spiel aufzudrücken.“ Trotzdem verloren unter ihr und Co-Chef Bernd Riexinger die Realos an Einfluß. Während die aus der SED hervorgegangenen Landesverbände immer schwächer werden, haben im Westen Öko-Radikale und Fundamentalisten das Sagen, die gar kein Interesse an einer Machtbeteiligung haben, sondern das Land aus der Opposition heraus verändern wollen.

Unvergessen jenes Video vom Strategieparteitag, auf dem eine Delegierte sich eine Zukunft ausmalt, „wenn wir das eine Prozent der Reichen erschossen haben“. Entlarvend für eine Partei, die viele in der Tradition stalinistischer Terrorlager und millionenfachen Mordes sehen, war die Reaktion von Riexinger: „Wir erschießen sie nicht. Wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.“

„Mangelnde Nachdenklichkeit, mangelnde Disziplin und die offenbar noch umstrittene Frage, ob wir tatsächlich bereit sind, den Weg zu einer erweiterten Rolle unserer Partei in den Bereich zehn Prozent plus zu gehen“, konstatierte damals eine entsetzte Kipping.

Darüber muß sie sich nach fast neun Jahren an der Parteispitze seit diesem Sonnabend keine Gedanken mehr machen, zwei andere Frauen haben übernommen: Die hessische Landtagsfraktionschefin Janine Wissler (84,2 Prozent der Stimmen) und die thüringische Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow (70,5) bilden die neue Doppelspitze. Demonstrativ präsentierten sie auf dem Online-Parteitag vor und nach ihrer Wahl Geschlossenheit.

Parlamentarische Geflogenheiten einzuhalten, ist die Sache der Linken nicht. Für sie darf es zwar demokratisch aussehen, wenn sie hinter den Kulissen nur irgendwie die Strippen ziehen können. Das Ergebnis sind Chaos und Streit. Auch im aktuellen Leitantrag „Wie wir gerecht aus der Krise kommen – mit einem sozialen, friedlichen und ökologischen Systemwechsel“ des Parteivorstandes geht es um den Umbau der Gesellschaft , um Enteignungen. „Superreiche“ sollen stärker an den Kosten der Krise beteiligt werden.

Wenn Wissler, wie eine Zeitung schreibt, eher für das linke Herz, Hennig-Wellsow eher eine Parteivorsitzende für den Kopf ist, dürfte klar sein, wer die Linke im anstehenden Superwahljahr führt. Die im Straßenkampf groß gewordene, bestens in die Basisorganisationen am linken Rand vernetzte und noch immer mit den vom Verfassungsschutz beobachteten Trotzkisten von „marx21“ liebäugelnde Wissler wird gegenüber den „Durchsetzungsperspektiven“ der Realpolitikerin aus Thüringen obsiegen.

Nein zu Auslandseinsätzen verhindert Koalition

Daß die Linke auf ihrem Nein zu jeglichen Auslandseinsätzen der Bundeswehr beharrt, bringt ihr zwar Sympathiepunkte bei potentiellen Wählern ein, verbaut ihr aber alle Perspektiven für ein Mitregieren im Bund. Rund 20 Prozent der Parteitagsdelegierten vertraten ohnehin die Fundamentalopposition, legt man zumindest den Anteil der Stimmen zugrunde, die Reimar Pflanz (19,4 Prozent) als einer der Gegenkandidaten von Hennig-Wellsow am Sonnabend erhielt, nachdem er vor korrumpierenden Regierungsbeteiligungen gewarnt hatte. 

Deutlich wurde das auch, als Verteidigungsexperte Matthias Höhn, der sich für UN-Friedensmissionen mit Beteiligung der Bundeswehr im Einzelfall aussprach, bei der Wahl eines der Vize-Vorsitzenden dem Friedenspolitiker Tobias Pflüger unterlag, der diese prinzipiell ablehnt.

Damit schützt die dogmatische Haltung der selbsternannten Friedenspartei die Republik vor einer möglichen Regierungsbeteiligung der Post-Kommunisten auf Bundesebene. Andererseits ist noch nicht einmal gewiß, ob die Linke mit ihren kruden Ideen ausreichend Wähler mobilisieren kann, um am 26. September in den Bundestag einziehen zu können. 

Vielleicht schrumpft sie wieder auf ihre Direktmandate im roten Berlin, wo in Treptow-Köpenick Gregor Gysi, in Marzahn-Hellersdorf Petra Pau, in Lichtenberg Gesine Lötzsch antreten. 

Auch die Wahl des Duos Wissler und Hennig-Wellsow steht nicht endgültig fest. Sie muß von den Delegierten per Briefwahl bestätigt werden.