© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Schluß mit Schuß mit lustig
Bundeswehr: Staatsanwälte ermitteln wegen verschwundener Munition
Christian Vollradt

Aus den Jägern wurden plötzlich Gejagte: Ein Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK), der rechtswidrig Straffreiheit bei Dienstvergehen und kriminellen Taten versprach, Vorgesetzte, die das gewußt und der politischen Führung nicht gemeldet hatten …

Belegt ist die nun für hektische Betriebsamkeit sorgende straffreie Munitionsrückgabe anhand von protokollierten Dienstbesprechungen des KSK aus dem Frühjahr 2020. Dort heißt es beispielsweise unter dem Stichwort „Amnestie“: „Mun(ition) bis April, Sicherheitsempfindliches MAT bis Oktober. Gesamtbild zufriedenstellend“. Und ein Feldwebeldienstgrad teilte mit, die Kompaniechefs meldeten „Abschluß der Abgabe von Fundmunition ... bis spätetens 24. 4. 2020.“ Bis zu diesem Tag könne „Fundmunition ohne negative Konsequenzen für die entsprechenden Soldaten“ bei der Munitionsgruppe abgegeben werden.  

Bei der Aktion kamen Berichten zufolge mehrere zehntausend Schuß Munition verschiedener Kaliber zusammen sowie Handgranaten und Sprengmittel. Wieviel davon zwischenzeitlich womöglich auch außerhalb von Liegenschaften der Bundeswehr aufbewahrt wurde, wieviel Übungsmunition und wieviel scharfe Munition sich darunter befand, konnte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums am Montag nicht sagen. „Das sind Fragen, die uns auch intensiv beschäftigen.“ Der Munitionsverbleib gehöre „als ganz wesentlicher Anteil zu den Untersuchungen, die im Moment stattfinden“, die aber noch nicht abgeschlossen seien.

Weitgehend unstrittig ist, daß Munition im KSK nicht immer korrekt bewirtschaftet wurde. Das habe viele Ursachen, heißt es. Es habe in der Spezialeinheit „eine Unkultur“ geherrscht,  wonach man der Auffassung war, Regeln und Vorschriften würden nur für andere gelten“, ist die Lesart von Kritikern vor allem aus dem Verteidigungsausschuß des Bundestags, sie ist aber auch aus dem Ministerium zu hören. 

Selbst frühere Offiziere, die während ihrer Dienstzeit Berührungspunkte zum KSK und diesem prinzipiell wohlgesinnt gegenüberstehen, berichten von Erlebnissen, bei denen ihnen Eigenmächtigkeiten und Diszplinlosigkeit negativ aufgestoßen seien. Der Tenor: Für eine besondere Einheit gelten auch besondere Regeln. Dies bedeute allerdings im Umkehrschluß nicht, daß überhaupt keine Regeln gälten. Und wer zur Elite gehöre, an den würden nun mal höhere Ansprüche gestellt. Andererseits sei es unmöglich, in einer Spezialeinheit denselben Umgang mit Munition zu pflegen wie in einer Ausbildungskompanie für Wehrpflichtige. Würde man dies tun, „wären die niemals einsatzfähig“, ist ein Kenner der Verhältnisse überzeugt.

„Abseits des Vorwurfs von Rechtsextremismus“

Insider bestätigen das. Der jährliche Munitionsverbrauch im KSK sei ungefähr genauso hoch wie der des gesamten restlichen Heeres. Wenn etwa bei einer Nachtübung die Männer nicht alles verschossen hätten, habe man den Rest nicht umgehend zurück in die Waffenkammer gebracht. „Die wußten ja, daß es am nächsten Morgen gleich wieder weitergeht“, schildert es ein erfahrener Kommandosoldat. „Und das blieb ja in einer der am besten gesicherten Kasernen der Bundeswehr.“ Eine weitere Ursache der Mißstände: nicht genug qualifiziertes Personal. „Wir hatten viel zu wenige Materialbewirtschaftungsfeldwebel.“ 

Nun ermittelt also die zuständige Staatsanwaltschaft Tübingen. „Bei den Soldaten könnte ein Verstoß gegen das Waffengesetz oder das Kriegswaffenkontrollgesetz vorliegen, bei den Vorgesetzten Strafvereitelung oder Strafvereitelung im Amt.“ Auffällig: In der aktuellen Debatte rückt der ursprünglich in aller Munde stets als herausragendes Problem geführte Rechtsextremismus offenbar vollständig in den Hintergrund. Dabei war das der Ursprung der Ermittlungen beim KSK und von Anfang an „Chefinsache“, wie Kramp-Karrenbauers Sprecher Arne Collatz betonte. Doch in diesem Fall „geht es um Munitionsfragen, die abseits des Vorwurfs in Sachen Rechtsextremismus betrachtet werden müssen, weil sie sehr komplexe Ermittlungsarbeit voraussetzen“, ergänzte der Oberst im Generalstabsdienst. 

Daß man hier auf eine saubere Trennung Wert legt, liegt auf der Hand. Denn würde der Komplex „Munitionsrückgabe gegen Amnestie“ in einen Zusammenhang mit dem Narrativ angeblicher „rechtsextremer Netzwerke“, gar einer mit beiseite geschaffter Munition bis an die Zähne bewaffneten „Schattenarmee“ gestellt, hieße das: Der KSK-Kommandeur, der im vergangenen Jahr noch mittels „Brandbrief“ Soldaten, die „mit dem rechten Spektrum sympathisieren“, aufgefordert hatte, „unseren Verband und die Bundeswehr“ zu verlassen, sonst würden sie „feststellen, daß wir Sie finden und entfernen werden“ –, daß also ausgerechnet dieser General Markus Kreitmayr dann staatsgefährdende Missetäter hätte ungeschoren davonkommen lassen … 

Unterdessen steht gegen Kreitmayr  nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT noch ein anderer Vorwurf im Raum. Der Brigadegeneral soll Militärärzte aufgefordert haben, während ihrer Untersuchungen von Kommandosoldaten quasi nebenbei nach möglicherweise politisch anstößigen Tätowierungen Ausschau zu halten und diese ihm dann – ohne Wissen der Betroffenen – zu melden. Dieses Ansinnen soll unter Bundeswehrmedizinern für Empörung gesorgt haben. Würden sie solch einer Aufforderung Folge leisten, wäre das eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht und würde das Vertrauensverhältnis mit den Patienten erheblich stören. Eine Antwort auf die Anfrage der JF, wie dies beim Sanitätsdienst der Bundeswehr grundsätzlich bewertet würde, lag bis Redaktionsschluß nicht vor. 

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