© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Heroen vom Thron
EU-Grenzschutzbehörde Frontex: Linke machen mobil gegen die EU-Agentur / Athen weist Vorwürfe zurück
Jörg Sobolewski

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex steht seit langem im Fadenkreuz von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International (AI). Seit Jahren dokumentiere man „illegale Pushbacks an Land- und Seegrenzen in Ländern wie Griechenland, Italien, Malta, Spanien, Frankreich, Bosnien, Kroatien und Slowenien“, meldete AI Ende Januar. Die „Pushbacks gefährden das Leben von Menschen, „sind nach EU- und internationalem Recht illegal und dürfen keinen Platz im EU-Grenzmanagement haben“, so das Resümee der Menschenrechtler.

Mehr Aufgaben und folglich mehr Ärger 

Angriffe, die Griechenlands Minister für Einwanderung und Asyl, Notis Mitarakis, nicht so im Raum stehen lassen will. Die Pushback-Vorwürfe seien Teil einer „umfassenden Fake-News-Strategie“, die von der Türkei sowie „einigen NGOs und Schmuggelnetzwerken gefördert“ würde, so der Politiker der liberal-konservativen Nea Dimokratia. Bisherige Untersuchungen der Zusammenarbeit von Frontex und der griechischen Küstenwache hätten keinen der Vorwürfe bestätigt, betonte Mitarakis gegenüber der griechischen Wochenzeitung To Vima. Sie hätten im Gegenteil bestätigt, daß der „wirksame Schutz“ der EU-Grenzen „im Rahmen des Völkerrechts und der europäischen Werte“ erfolge. 

Vor diesem Hintergrund lobte Mitarakis vergangene Woche bei einem Treffen mit Frontex-Chef Fabrice Leggeri die gute Zusammenarbeit mit der EU-Grenzschutzagentur. „Die Migrationskrise ist eine Krise für die gesamte EU, und es ist wichtig, daß die europäischen Agenturen ihren Auftrag erfüllen“, betonte der Grieche bei einem Besuch der EU-Behörde in Warschau. 

Dies sah die EU-Kommission bis dato genauso. Entsprechend verkündete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende September 2020 bei der Vorstellung des EU-Migrationspakts einen „drastischen Ausbau“ der Grenzschutzbehörde Frontex. Beginnend mit dem 1. Januar dieses Jahres sollen bis 2027 Tausende neue Mitarbeiter angeworben werden, um die Grenzen der EU besser vor illegaler Einwanderung abzusichern. „Eine Kooperation mit den Staaten des Westbalkans wird den Frontex-Grenzbeamten ermöglichen, gemeinsam mit nationalen Grenzeinheiten auf dem Gebiet der Partnerstaaten zu operieren“, heißt es in einem Schreiben der EU-Kommission an das Europäische Parlament. 

Mittlerweile ist Frontex nicht nur zuständig für die Vernetzung der einzelnen Grenzschutzbehörden der Mitgliedsstaaten, ihre Angehörigen – die meist für eine bestimmte Zeit aus den Polizeibehörden der Mitgliedsstaaten abgeordnet werden – nehmen auch selber Kontrollen an den Grenzen vor, unterstützen Gruppenabschiebungen und koordinieren den Ausbildungsstand zwischen den Grenzpolizeien der Mitgliedsstaaten. 

So sind an über zehn Prozent der europaweiten Abschiebungen Mitarbeiter der Agentur beteiligt, wie Frontex auf seiner Webseite angibt. Dabei ist die Agentur in eine politische Zwickmühle geraten. Die einen werfen ihr vor, nicht energisch genug an den Außengrenzen Neuankömmlinge abzuweisen, während Organisationen wie AI ihr genau diese Ab- oder Rückweisung zum Vorwurf machen. Der Europäische Gerichtshof hatte eine derartige Verfahrensweise bereits 2012 als „Menschenrechtsverletzung“ bezeichnet und für nichtig erklärt. Bereits im vergangenen Dezember hatte das EU-Betrugsbekämpfungsamt Olaf zudem eine Razzia bei Frontex durchgeführt, bei der es um Fragen des Managements und des Personalwesens ging. Nach Angaben des EUobservers steht Frontex-Chef Leggeri auch unter Beschuß, weil er es versäumt haben soll, bis Ende 2020 Grundrechtsbeobachter einzustellen. Dies, so das Onlineportal, habe die Europäische Kommission verärgert.

EU-Parlament beginnt mit Untersuchungen

Nun bringt eine Reportage des Fernsehkomikers Jan Böhmermann neue Vorwürfe ins Spiel. Dieser wirft der Agentur vor, sich mit Lobbyvertretern europäischer Rüstungskonzerne getroffen und diese verheimlicht zu haben. Die maßgeblich an der Sendung beteiligte spanische Journalistin Luisa Izuzquiza verlor allerdings kürzlich einen Prozeß gegen Frontex vor dem Europäischen Gerichtshof. Die linke Aktivistin und ihre gut vernetzten Unterstützer agieren seitdem europaweit öffentlich gegen Frontex und den gemeinsamen europäischen Grenzschutz. 

Das tun auch andere, allerdings mit einer völlig anderen Zielrichtung. Die Abgeordneten der AfD-Fraktion im Bundestag warfen dem Frontex-Chef in einer Sitzung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Januar vor, bei illegalen Grenzübertritten zu wenig für den Schutz der Außengrenzen zu tun. Konkret spielte die Fraktion auf einen Vorfall im Februar des vergangenen Jahres an. Damals war es an der türkisch-griechischen Grenze zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Grenzschützern und illegalen Migranten gekommen. Auch der Sprecher der spanischen Vox, Jorge Buxadé, warf der Agentur vor, nicht genug für den Schutz der Grenzen zu tun. Allerdings, so Buxadé, liege dies nicht an den Beamten selber. Diese zeigten „unermüdlichen Einsatz unter schwierigsten Bedingungen“. Schuld an den durchlässigen Grenzen sei eine Politik, die Frontex immer mehr Steine in den Weg lege, anstatt den „heroischen Einsatz für die Sicherheit der europäischen Grenzen“ zu würdigen und zu unterstützen. 

Von härterem Grenzschutz kann zumindest nach Ãœberzeugung einiger linker und grüner EU-Parlamentarier  einstweilen keine Rede sein. Seit dem 23. Februar untersucht eine Prüfgruppe im Europäischen Parlament (Frontex Scrutiny Working Group) das Vorgehen der Grenzschützer. Es solle in den kommenden vier Monaten untersucht werden, ob diese „systematisch Menschenrechtsverletzungen“ begehe. Diese kontert derweil auf den sozialen Medien mit Bildern von erfolgreichen Seenotrettungen von Migrantenschiffen.

Parallel dazu begrüßte Frontex-Chef Leggeri während einer Veranstaltung der Robert-Schuman-Stiftung am 25. Februar die Untersuchung. „Es wird Empfehlungen geben, und die sind willkommen“, erklärte der Franzose, der sich sicher zeigte, daß die Agentur von jeglichem Fehlverhalten freigesprochen werde. Unterstützung erhielt er durch den EU-Kommissionsvizepräsidenten. Margaritis Schinas wies zwar darauf hin, daß die Fragen des Managements „gelöst werden“ müßten. Versuche, die Frontex-Agentur „in einem Moment zu schwächen, in dem die EU sie am meisten“ brauche, kritisierte der Politiker der griechischen Nea Dimokratia mit allem Nachdruck.