© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Gesetz ist nur, was im Gesetz steht
Rückgabe von Kulturgut: Monika Grütters will Stiftungen moralisch unter Druck setzen
Friedrich Kiechle

Am 3. Februar ließ Kulturstaatsministerin Monika Grütters der Presse mitteilen, die Bundesregierung habe die Vereinheitlichung des – bislang teilweise durch Ländergesetze geregelten – Stiftungsrechts durch abschließende bundesrechtliche Regelung beschlossen. Weiter hieß es in der Überschrift in dicken Lettern: „Gesetzesbegründung erleichtert freiwillige Rückgabe von Kulturgut.“

In dem Gesetzesentwurf selbst findet sich jedoch an keiner Stelle etwas zu einer freiwilligen Rückgabe von Kulturgut. Und in der Tat, die Ministerin sprach ja nicht von einer beabsichtigten Gesetzesregelung, sondern von der Gesetzesbegründung – genauer: wohl von ihrer Begründung, der die Bundesregierung offenbar gefolgt ist und mit der beide anscheinend hoffen, den Bundestag zu dem Gesetzesbeschluß bewegen zu können.

Kommt es dazu, ist Gesetz allerdings nur, was auch im Gesetz steht. Rechtlich unerheblich ist es deshalb, wenn Monika Grütters mitteilt, es sei ein wesentliches Anliegen, „daß Stiftungen nicht an der freiwilligen Rückgabe von unrechtmäßig entzogenem Kulturgut gehindert werden, weil dieses Teil des Grundstockvermögens der Stiftung ist“. Zu diesem ist in dem jetzt vorgesehenen neuen Paragraph 83c BGB unmißverständlich wie im Regelfall in den bisherigen Landesgesetzen bestimmt, daß das Grundstockvermögen ungeschmälert zu erhalten und der Stiftungszweck (nur) mit den Nutzungen des Grundstockvermögens zu erfüllen ist. 

Gesetzesbegründung soll das Gegenteil bewirken

Frau Grütters meint nun, mit ihrer Begründung zum Gesetzesvorschlag irgendwie im Ergebnis das Gegenteil bewirken zu können. Dabei hat sie ein breites Anwendungsfeld im Blick. Betroffen sein könnten, so heißt es, sowohl Restitutionen von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern, aber auch von solchen, die in der SBZ /DDR entzogen worden sind, oder von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten.

Im Gesetzesbegründungtext der Ministerin heißt es – und das muß man wörtlich auf sich wirken lassen: „Im wohlverstandenen Interesse einer Stiftung liegt regelmäßig die Erfüllung gerechtfertigter Restitutionsansprüche in Umsetzung der Washingtoner Prinzipien und der hierzu ergangenen Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände. Die Restitution von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern ist ein wesentliches Element der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechtregimes. Es ist der erklärte Wille der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände, daß auch Privatpersonen und privatrechtlich organisierte Einrichtungen der Gemeinsamen Erklärung folgen, die ihrerseits die Washingtoner Erklärung umsetzt (…) Dasselbe gilt für die Rückgabe von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten dessen Aneignung in rechtlich und/oder ethisch heute nicht mehr vertretbarer Weise erfolgte.“

Nun gehören Gesetzesbegründungen der Exekutive, von Ausschüssen oder anderen Stellen zu den sogenannten Gesetzesmaterialien, die durchaus herangezogen werden können, wenn die Auslegung des Gesetzes unklar erscheint und wenn man annehmen kann, daß dort auch der Wille des Gesetzgebers selbst zum Ausdruck kommt. Sie können aber niemals zu einem anderen Ergebnis als das hinreichend klare Gesetz führen.

Wiedergutmachung ist abschließend geregelt

Weiter: Der Gesetzgeber selbst hat die Wiedergutmachung abschließend mit dem Ergebnis geregelt, daß jetzt keine Ansprüche mehr bestehen. Das kann nicht auf dem von Monika Grütters ausgedachten Weg geändert werden. Im Gegenteil ist den Verwaltern von Stiftungsvermögen davon abzuraten, sich auf solch dünnes Eis locken zu lassen. Sie laufen Gefahr, wegen Untreue bestraft zu werden, wenn sie aus ihrem Grundstock Vermögen ohne rechtliche Verpflichtung abgeben, also verschenken.

„Gerechtfertigte Restitutionsansprüche“ liegen nur vor, wenn sie dem Gesetz entsprechen, und nicht schon dann, wenn Interessierte moralisch begründete Begehren formulieren. In Erinnerung zu rufen ist, daß die Staatsanwaltschaft beim Berliner Kammergericht eine Strafverfolgung gegen die Akteure bei der seinerzeitigen Weggabe von Ernst Ludwig Kirchners „Berliner Straßenszene“ mit der Begründung abgelehnt hat, den Beschuldigten könne kein Vorsatz nachgewiesen werden. Hierauf hätte nicht abgestellt werden müssen, wenn die Weggabe schon objektiv rechtmäßig gewesen wäre.

Wenn es nicht um eine ernste Angelegenheit ginge, könnte man meinen, Monika Grütters habe einen Scherz gemacht. Denn wie sollte man sonst verstehen, wenn eine Bundesministerin glaubt, einen Gesetzesbeschluß des Parlaments durch ihre eigene Willensäußerung oder die der Bundesregierung ersetzen zu können? Was für eine Vorstellung hat sie von einem zentralen Wesensmerkmal der freiheitlich-demokratischen Grundordnung?

Aber die Kulturverantwortliche aus dem Bundeskanzleramt will wohl nicht scherzen. Vielmehr handelt es sich vermutlich um einen weiteren Versuch, wie schon in den vergangenen Jahren am Gesetz und am Gesetzgeber vorbei bestimmte Ergebnisse durchzusetzen. Der „Wille der Bundesregierung“ – und anderer unmaßgeblicher Stellen – ist es, auf den es stattdessen ankommen soll. Ihm sollen sogar die „Privaten“, also die Bürger, folgen. Haben wir nicht im Gegensatz hierzu einmal gelernt, daß der Bürger in seinem Handeln frei und nur dem Gesetz unterworfen ist? 






Friedrich Kiechle war als Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Berlin über 20 Jahre für Restitutionsrecht zuständig.