© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Zur falschen kirchlichen Moralisierung der Sünde
Tiefe theologische Kulturkritik
(wm)

Ingolf U. Dalferth ist wohl der auch international am meisten beachtete deutsche Theologe. Der schwäbische Protestant, 1948 in Stuttgart geboren, bis zur Emeritierung 2013 Professor für Systematische Theologie, Symbolik und Religionsphilosophie an der Universität Zürich, hat sich mit seinen zahlreichen Werken jedoch besonders unter „progressiven“ Funktionären deutscher Amtskirchen wenig Freunde gemacht. Das zeigten etwa Reaktionen auf seine Streitschrift gegen den „mißlungenen Versuch einer Bibel in gerechter Sprache“ (2007). Aktuell ist es eine Monographie über die „Sünde – Die Entdeckung der Menschlichkeit“ (Evangelische Verlagsanstalt, 2020), mit der Dalferth aneckt. Sie nimmt den Faden einer Debatte auf, die evangelische Theologen zum Reformationsjubiläum 2017 über die amtskirchlich favorisierte „Moralisierung der Sünde“ führten. Der Moraldiskurs, so Dalferths These, habe in Kirche und Gesellschaft den theologisch nicht gedeckten Ausstieg aus dem „Sündendiskurs der religiösen Tradition“ begünstigt. Sünde sei aber ursprünglich Blindheit gegenüber dem, was wir als Geschöpfe Gottes sein sollen. Man könne also moralisch „gut“ handeln, etwa als „Seenotretter“ im Mittelmeer, und doch aus der „Sünden“-Perspektive Böses bewirken, sofern  sich das Handeln nicht am erweiterten Horizont der „Conditio humana vor Gott“ orientiere. Aus dieser „tiefen Kulturkritik“, wie ihm Interviewer des Philosophie-Magazins Hohe Luft (2/2021) zugestehen, lasse sich selbst für „Gottesblinde“ in der Corona-Pandemie die Lehre ziehen, „daß wir ganz und gar nicht die Kontrolle über unser Leben haben“. 


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