© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Universität Stockholm und das Swedish Collegium for Advanced Studies Uppsala haben gemeinsam ein Projekt entwickelt, das sich hinter dem Kürzel LAMP (Languages and Myths of Prehistory) verbirgt. Ein Schwerpunt ist die Erforschung der indoeuropäischen Sprachen und Glaubensweisen. Im Netz (https://lamp-project.se/) wird als erstes Ergebnis auf die Übereinstimmung religiöser Leitideen – etwa die Verehrung eines Himmelsgottes oder von Zwillingsgöttern – hingewiesen, aber auch auf die strukturelle Ähnlichkeit zentraler Riten. Im Zentrum der Arbeit stand deshalb zuletzt das „Große Pferdeopfer“, dessen Verbreitung darauf hindeutet, daß bestimmte kosmologische Vorstellungen über 4.000 Jahre kontinuierlich erhalten geblieben sind: von der Praxis in der bronzezeitlichen Sintaschta-Zivilisation, die am Ural angesiedelt war, bis zum skandinavischen „Skeid“ des Mittelalters. Übrigens halten die Vertreter von LAMP die Indoeuropäer keineswegs für ein Sprachphantom, sondern erwarten entscheidende Aufschlüsse davon, wenn sie „die Ergebnisse der historischen Linguistik mit der Karte der genetischen wie der archäologischen Fingerabdrücke der vorgeschichtlichen Wanderungen zusammenführen“.

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„Der gesellschaftliche Fortschritt läßt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts, die Häßlichen mit eingeschlossen.“ (Karl Marx)

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Das Image von Vegetariern und Veganern ist ein denkbar Positives. Aber in der modernen Welt kann keine Vorstellung Einfluß gewinnen, ohne einen gewissen finanziellen Rückhalt, um sie publik zu machen. Insofern überrascht die Nachricht nicht, daß Jeremy Coller, einer der reichsten Männer Großbritanniens, Philanthrop und Kämpfer gegen die Massentierhaltung, für Investitionen in eine fleischlose Zukunft auch mit dem Argument wirbt, daß Skandale um Schweine- und Vogelgrippe oder Verunreinigungen in Schlachtbetrieben unkalkulierbare Risiken für das eingesetzte Kapital heraufbeschwören, weshalb dringend über Alternativen nachgedacht werden müsse.

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Der von den grünen Politikerinnen Aminata Touré und Claudia Roth ins Spiel gebrachte Gedanke, ein „Ministerium für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu schaffen, hat sicher Aussicht auf Umsetzung in der schwarz-grünen Zukunft. Nur fehlt der Bezeichnung etwas Drive. Wie wäre es mit „Ministerium für Bevölkerungsaufklärung und Bevölkerungserziehung“?

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Im Hinblick auf die Behauptung, daß Hunde intelligenter als Katzen seien, sollte man bedenken, daß die Malaien annehmen, die Sprachlosigkeit des Orang-Utan – übersetzt: „Waldmensch“ – sei kein Zeichen von Dummheit, sondern ganz im Gegenteil ein Beweis überlegener Klugheit: Der Orang-Utan wolle durch sein Schweigen verhindern, daß ihn unseresgleichen zur Arbeit zwänge.

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Unter den Bedingungen von Corona geraten auch liebgewordene nationale Stereotype ins Wanken. Wer schon beim Betrachten britischer Krimis etwas irritiert war, wenn es um die flächendeckende und offenbar als selbstverständlich hingenommene Videoüberwachung des öffentlichen Raums geht, der dürfte sich jetzt bestätigt fühlen mit seinem Zweifel am Mythos vom „free-born Englishman“: Die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützt die Schließung der Grenzen, und 70 Prozent der Einwohner erklärten in einer Befragung, daß man Ankömmlinge qua GPS-Tracker kontrollieren sollte; eine Majorität betrachtet zehn Jahre als angemessene, 13 Prozent der Befragten als zu milde Strafe, wenn jemand im Hinblick auf sein Herkunftsland lügt; die meisten Briten finden, daß Besitzer eines Impfpasses privilegierten Zugang zu Krankenhäusern, Büros oder Gemeinschaftseinrichtungen haben sollten, und drei Viertel halten die Idee eines Lockdown bis zum Herbst für akzeptabel. Bezeichnenderweise hat Nigel Farage nach einem kurzen Flirt mit der Idee der Corona-Leugnung die Finger davongelassen.

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Der Biologe Yves Christen schildert in einem anrührenden Text die Begegnung mit den Tieren seines Lebens. Aufschlußreich ist aber vor allem die Notiz eines Naturwissenschaftlers, daß die „Biophilie“ – also die Liebe des Menschen zur Natur – ein „Mysterium“ bleibe, da ihr kein Nutzen im Survival of the fittest zukomme, daß aber ohne solche Zuwendung zu unseren Mitgeschöpfen „nichts Menschliches“ bleibe.

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Eric Gujer, Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, in seinem Newsletter „Der andere Blick“ über jene, die das „Märchen vom Rechtsrutsch“ verbreiten: „In dieser verqueren Weltsicht steckt in jedem Rechten ein bißchen Hitler. Mit der gleichen Logik könnte man Sozialdemokraten als Epigonen Stalins diskreditieren, denn deutsche Reformsozialisten sowie der sowjetische Diktator werden als links bezeichnet. Und doch liegen Welten zwischen ihren Anschauungen. Solche Unterschiede zu planieren, um durch Ausgrenzung die Macht über die öffentliche Rede zu erlangen, ist das eigentliche Ziel aller, die ‘rechts’ zum schwiemeligen Kampfbegriff erhoben haben.“


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 19. März in der JF-Ausgabe 12/21.