© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Ehrbarkeit galt nur unter Partnern
Der Mannheimer Neuhistoriker Hiram Kümper über die Geschichte der Hanse
Marcel Waschek

War es ehrbar von den Patriziern Stralsunds, dem neuen Bürgermeister der Stadt mit Sanktionen, dem sogenannten Verhansen, zu drohen? Nachdem Mißernten die Stadt heimgesucht hatten, wurden diese tatsächlich durchgesetzt. Karsten Sarnow, Stralsunds Bürgermeister, Vater von fünf Kindern und erfolgreicher Anführer der Flotte der Stadt im Kampf gegen Seeräuber, war in seinem Amt ein engagierter Kämpfer gegen Korruption und die Vetternwirtschaft der Patrizier und der Hanse. Doch die krisengebeutelte Bevölkerung, welche Sarnow zwei Jahre zuvor als gefeierten Helden zum Bürgermeister gewählt hatte, richtete ihn wohl auch unter Druck der Hanse hin. 

Diese Episode ist eine von vielen Fällen, in denen die Patrizier und die größtenteils auf sie gestützte Hanse zu Erpressung oder gar militärischer Gewalt griffen, wenn ihre Interessen in Gefahr waren. War doch ein solches Vorgehen oft erfolgversprechend. Die Monopolbildung, Erpressung, Bestechung und der Waffeneinsatz, aber auch harte Arbeit, kluger Geschäftssinn und das meist berechtigte Vertrauen aufeinander machten die Pfeffersäcke, die Kaufleute der Hanse und ihre Städte erst wohlhabend und mächtig. 

Trotz machtvollen Auftretens nur schwer zu belangen

Der Entstehung und der Geschichte der Hanse, ihrer Werte sowie ihrer Vorstellungen von Ehre und gutem Handeln widmet sich das Buch „Der Traum vom Ehrbaren Kaufmann“ von Hiram Kümper, einem Experten für Normensysteme und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.Wie konnte sich aus dem eher losen Bündnis einiger Kaufleute und später immer stärker ganzer Städte vom Mittelalter bis zum Dreißigjährigen Krieg und in Fragmenten darüber hinaus eine derart wirtschaftlich und politisch mächtige Institution wie die Hanse bilden? Eine Institution, die, wenn Forderungen an oder gegen sie gerichtet wurden, nur schwer zu greifen war, jedoch beim Vertreten und Durchsetzen eigener Interessen sehr bestimmt und machtvoll auftreten konnte. Was machte das Bündnis aus und welche Bedeutung hatte es für den Nord- und Ostseeraum und für das gesamte Europa nördlich der Alpen? 

Kümper hebt diese Aspekte hervor, welche kennzeichnend für die Hanse waren und vermerkt gleichzeitig, daß die Hanse eben nicht nur für ihre Zeitgenossen ein Phänomen darstellte, sondern auch für heutige Historiker. Dennoch gelingt Kümper ein sehr genaues und umfassendes Bild jener Handelsgemeinschaft. Dabei räumt er mit dem Vorurteil auf, die Hanse sei nur auf das Meer begrenzt gewesen, denn das Handelsbündnis verfügte auch über ein gewaltiges Wirtschaftsnetz von Hansestädten, das sich von Reval und Riga über Göttingen und Magdeburg bis nach Köln und Arnheim erstreckte und in Zeiten ihrer größten Ausdehnung etwa 300 See- und Binnenstädte des nördlichen Europas zusammenschloß.

Detailreich geht Kümper auf die Entstehung der Hanse seit der Gründung Lübecks durch Heinrich den Löwen, einem Gestalter des Raumes nördlich der Alpen, aber auch auf die Werdung und Genese des Ostseeraumes ein. Kümper räumt auch hier der Problematik Platz ein, die Hanse nicht recht fassen zu können. Daher kann auch von keiner Gründung die Rede sein, bestenfalls ab 1358 vom allgemeinen Zusammenschluß verschiedener Händler Nord- und Westeuropas zu der „Düdeschen Hanse“. 

Gekonnt werden die Bedingungen, die zum Zusammenkommen eben jener verschiedener Händlerbündnisse führten, skizziert und nachvollziehbar aufgezeigt, wie sich aus diesen eine Gemeinschaft formierte, die später als Hansa oder Hanse auftreten sollte. Die Geschichte einzelner Städte, insbesondere Lübecks und daneben auch Köln, Stralsund und Braunschweig spielen ebenso eine wichtige Rolle wie die großen Hansekontore in Bergen, London, Brügge und Nowgorod mit ihren höchst unterschiedlichen Handelswaren von Wachs und Fellen aus Rußland, Stockfisch aus Norwegen bis zu feinsten Tuchen aus den Manufakturen Flanderns. 

Das ursprüngliche Ziel der mittelalterlichen Städte, die Sicherheit der Verkehrswege und der Überfahrt zu gewährleisten – dem konkreten Vertrag dazu zwischen Hamburg und Lübeck 1241 gingen bereits ähnliche Absprachen anderer Städte voraus –, wich in der Blütezeit des immer mächtiger werdenden Bundes Ende des 14. Jahrhunderts zunehmend der Vertretung gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen, besonders im Ausland, und der Vernetzung der Kaufmannschaften zwischen Bremen und Reval. Dort nutzte man auch andere Institutionen wie das Schwarzhäupterwesen im Baltikum oder den Artushof in Danzig, um über die eigenen Stadtgrenzen hinaus wirtschaftliche Bande der später in die hansestädtischen Gilden aufrückenden Kaufmannsgesellen zu knüpfen.

Der Autor wirft meist Schlaglichter auf einzelne Ereignisse, von denen einige eine ganz zentrale Rolle für den Werdegang der Hanse oder die historische Entwicklung Nord- und Mitteleuropas spielen. Der Begriff der Ehrbarkeit wird hervorgehoben. Kümper erläutert anschaulich, das die Ehrbarkeit der Kaufleute der Hanse eine Ehrbarkeit untereinander, ein Beachten der gemeinsamen Regeln und ein Vertrauen aufeinander war, daß den ehrbaren Kaufmann ausmachte und nicht etwa die Ehrlichkeit gegenüber Handelskontakten außerhalb der zuweilen elitär erscheinenden Gemeinschaft.

Um seinem Werk etwas populärwissenschaftlichen Anstrich zu geben, bemüht der am Lehrstuhl für Spätmittelalter an der Universität Mannheim lehrende Kümper einige etwas gezwungen wirkende Vergleiche, wie etwa den zwischen dem Umgang mit der Pest und dem mit Corona oder auch zwischen eingeschworenen Handelsgemeinschaften und gegenwärtigen Burschenschaften. Um einen Gegenwartsbezug sowie eine Identifikation des Lesers mit den historischen Akteuren und Geschehnissen zu kreieren, wäre das gar nicht nötig, da Kümper in seiner Darstellung meisterhaft und lebendig eben jene Geschehnisse und ihre Akteure aus der frühen Neuzeit auferstehen läßt. 

Hiram Kümper: Der Traum vom Ehrbaren Kaufmann. Die Deutschen und die Hanse. Propyläen Verlag, Berlin 2020, gebunden, 544 Seiten, 28 Euro

Fotos: Kogge auf der Mottlau in Danzig; Hamburger Hanse-Siegel: Monopolbildung, Erpressung und Bestechung, aber auch harte Arbeit und kluger Geschäftssinn machten die hanseatische Kaufmannschaft stark; Kaufleute der Hanse im 13. Jahrhundert: Das Handelsbündnis umfaßte bis zu 300 See- und Binnenstädte des nördlichen Europa