© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Hoffentlich geht’s nicht ins Auge
Nach ihrer Freigabe kommen endlich Corona-Tests für Laien auf den deutschen Markt
Mathias Pellack

Corona-Selbsttests sind keine OP-Masken, die der Bundesgesundheitsminister problemlos in großer Zahl bevorraten könnte. Selbsttests sind Werkzeuge, die spezifisch für einen Virus, in diesem Fall Sars-CoV-2, konzipiert und hergestellt werden. Daß es nun aus politischen Gründen ein paar Tage länger dauert, als Jens Spahn erhofft hatte – geschenkt. Daß gleichzeitig die Webseite des Gesundheitsministeriums in ihren Fragen und Antworten berichtet, es sei noch kein Selbsttest zugelassen, während das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einen Arbeitstag vorher die gegenteilige frohe Botschaft verkündete – naja.

Daß nun wieder Großbritannien Deutschland – diesmal um mehr als einen Monat – voraus ist mit einer breit aufgestellten Selbstteststrategie ist unerhört. Seit dem 12. Februar lagen fast 30 Anträge auf eine Sonderzulassung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vor. Dieses Institut bewerkstelligte es nun nach zwölf Tagen, die drei ersten Selbsttests freizugeben. Inzwischen ist ein vierter hinzugekommen. Dazu habe es aber nicht einfach nur den Herstellern vertraut, wie etwa die Österreicher – so sagt jedenfalls CDU-Minister Spahn. Österreichs Schulkinder dürfen derweil dank der mit Steuermitteln bezahlten Tests seit dem 8. Februar wieder zur Schule, sofern sie ein negatives Ergebnis vorweisen können. 

„Deutsche Tests sicherer als österreichische“

Spahn sagte im Deutschlandfunk wörtlich: „In Österreich bestätigen die Unternehmer schriftlich, daß mit ihren Tests die Qualität in Ordnung ist. Bei uns prüft die Behörde tatsächlich auch die Unterlagen der Unternehmen, schaut, ob die Gebrauchsanweisung eine ist, die auch jemand so verstehen kann, daß er den Test gut machen kann, und daß die Qualität des Tests, daß es Studien dazu gibt, wie häufig tatsächlich das Ergebnis stimmt und wie häufig auf 100 Tests gesehen es nicht stimmt.“

Der deutsche Gesundheitsminister versucht hier die – wohlwollend gerechnet – zwei Wochen längere Zulassungsdauer augenscheinlich mit der größeren Sicherheit von in Deutschland zugelassenen Tests zu erklären. Bei genauem Hinschauen entpuppt sich das als ziemliche Mogelpackung. So bietet laut BfArM das Produkt „Clinitest Rapid Covid-19 Self-Test“ des US-Herstellers Healgen Scientific LLC im Beipackzettel, je nach deutschem Vertreiber, unterschiedliche Spezifitäts- und Sensitivitäts-Werte an.

Einer der Vertreiber, der die erste Zulassung bekommen hat, ist das Erlanger Unternehmen Siemens Healthineers. Das BfArM listet die Sensitivität mit 97,25 Prozent und gibt dazu ein Sicherheitsintervall an. Mit 95prozentiger Wahrscheinlichkeit (Konfidenzintervall 95 Prozent) bewegt sich die Genauigkeit beim Finden des Virus zwischen 92,17 Prozent und 99,43 Prozent. 

Bedienungsanleitung auf Verständlichkeit überprüft

Auffällig ist bei diesem Test, daß die Spezifität mit 100 Prozent angegeben wird und das bei einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 97,16 Prozent bis 100 Prozent. Das ist nicht nur biologisch äußerst unwahrscheinlich, sondern auch mathematisch schwer zu erklären. Das BfArM verwies die JUNGE FREIHEIT zur Erklärung an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), welches auf die Nachfrage zur Grundlage der statistischen Berechnungen erklärte, „die Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts sind keine Berechnung, sondern das Ergebnis von Prüfungen“. Die Frage, ob diese Werte vom Hersteller übernommen wurden, ließ das das Institut offen.

Tatsache ist allerdings, daß Siemens Healthineers bereits mit der 100-Prozent-Spezifität wirbt. Schlägt der Test aus, müßte die Person definitiv infiziert sein. BfArM und das PEI erklärten, sie überprüften den Beipackzettel daraufhin, ob er auch für Laien verständlich sei. Wie das genannte Bundesinstitut der JF bestätigte, nimmt es dabei „lediglich einen Abgleich der Herstellerangaben mit den durch das PEI in Abstimmung mit dem RKI festgelegten Mindestkriterien“ vor. Die „Evaluierungen der Tests“ werden „durch das Paul-Ehrlich-Institut“ vorgenommen.

Das PEI gab an, es bewerte, ob „der Test dem Stand der Technik“ entspreche und „die aufgestellten Mindestkriterien“ erfülle. Woher die Angaben zur Sensitivität und Spezifität kommen, bleibt damit unklar. Aus dem Testdesidgn wird aber des weiteren deutlich, daß das PEI nur die Sensitivität – nicht aber die Spezifität – prüft. Was demzufolge geprüft wurde, ist, ob ein Laie den Beipackzettel verstehen kann und ob der Test unter Laborbedingungen in 80 Prozent der positiven Fälle anschlägt. 

Schnelltests gibt es mittlerweile eine Menge. Das BfArM listet insgesamt 198. Die kritische Frage bei den Selbsttests ist die nach der einfachen Handhabbarkeit. Neben den vier bereits zugelassenen hat das Paul-Ehrlich-Institut bereits 50 weitere Antigentests bis Ende Februar das Bestehen der Mindestkriterien beschieden. Die meisten davon sind aber noch nicht als Selbsttest zugelassen.

Auffällig ist: Unter den besten 15 Herstellern, nach der Sensitivität geordnet, sind acht chinesische Unternehmen. Sieben deutsche Hersteller konnten ebenfalls die PEI-Evaluierung durchlaufen und sind damit Kandidaten für einen Laien-Selbsttest. Auch Gurgel- oder Spucktests sollen bald eine Zulassung erhalten. Wann das der Fall sein wird, ist aber noch unklar. Gurgeltests werden schon häufig von Klinikpersonal angewendet.

 www.bfarm.de/

 www.gesundheit.gv.at





Antigen-Tests zum Virus-Nachweis

Die Sensitivität gibt an, bei welchem Prozentsatz infizierter Patienten die jeweilige Krankheit durch die Anwendung des Tests tatsächlich erkannt wird. Die Spezifität gibt die Wahrscheinlichkeit an, daß Gesunde, die nicht von der geprüften Infektion betroffen sind, im Test auch tatsächlich als gesund erkannt werden. Das 95prozentige Konfidenzintervall gibt an, daß mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent der tatsächliche Wert innerhalb des vorgegebenen Bereichs liegt. Es bleibt also eine fünfprozentige Chance, daß die Genauigkeit nicht dem angegebenen Wert entspricht. Die vom Paul-Ehrlich-Institut und dem Robert-Koch-Institut festgelegten Mindestkriterien für Corona-Schnelltests, und damit auch für die neuen Laien-Schnelltests, lauten: Tests müssen wenigstens eine Sensitivität von 80 Prozent und eine Spezifität von 97 Prozent erzielen. Etwaige Kreuzreaktivitäten müssen in der Packungsbeilage genannt werden. (mp)

Spezifika der Sars-Cov-2-Schnelltests: antigentest.bfarm.de