© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/21 / 05. März 2021

Bilde eine Faust!
System of a Down: Die Metal-Band unterstĂĽtzt die armenischen Truppen bei der Verteidigung ihrer Heimat
Felix Krautkrämer

Als im vergangenen Jahr der Krieg um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan entflammte, reagierte die westliche Welt weitgehend zurückhaltend bis gleichgültig. Dabei war der Konflikt durchaus blutig und durch die Involvierung Rußlands und der Türkei von großem geopolitischem Interesse. Doch auch kulturell hätte der Westen Grund gehabt, Armenien, wenn schon nicht militärisch, so doch zumindest politisch und moralisch zu unterstützen.

Nicht nur, daĂź sich das christlich-orthodoxe geprägte Armenien einem mehrheitlich islamischen Gegner gegenĂĽbersah. Aserbaidschan wurde bei seinem Vorgehen ausgerechnet von dem Land unterstĂĽtzt, das während des Ersten Weltkriegs verantwortlich war fĂĽr den Völkermord an den Armeniern: der TĂĽrkei mit ihrem Präsident Erdogan, dessen Traum bekanntlich die Errichtung eines neuen groĂźtĂĽrkisch-islamischen Kalifats ist. 

Die amerikanische Metal-Band System of a Down (SOAD) und allen voran ihr Sänger Serj Tankian jedoch wollten und wollen dem Vorgehen Aserbaidschans nicht schweigend zusehen, schließlich handelt es sich bei Armenien um das Land ihrer Vorväter. Alle Band-Mitglieder haben armenische Wurzeln. Die Gruppe nutzt ihre weltweite Popularität (mehr als 40 Millionen verkaufte Tonträger, mehrere Nummer-eins-Plazierungen in europäischen und amerikanischen Charts) seit Jahren, um auf das Anliegen Armeniens aufmerksam zu machen.

Als sich 2015 der Genozid an den Armeniern zum hundertsten Mal jährte, ging die Gruppe auf eine weltweite Konzerttournee mit dem Titel „Wake Up the Souls“ (Weckt die Seelen auf), um an das Verbrechen zu erinnern und Gerechtigkeit für die Opfer einzufordern. Die Europatournee endete ganz bewußt mit einem Gratiskonzert in der armenischen Hauptstadt Eriwan am 23. April – dem Vorabend des offiziellen Gedenktags des Völkermords an den Armeniern. Das Streben nach Gerechtigkeit kenne keine zeitlichen Beschränkungen, erläuterte Schlagzeuger John Dolmayan damals die Motivation der Band. Und es ende erst, wenn der Gerechtigkeit Genüge getan sei, „ob es nun hundert oder tausend Jahre dauert“. Es sei an der Zeit, die türkische Regierung für die begangenen Verbrechen zahlen zu lassen, befand Leadsänger Tankian.

Als Armenien nun im vergangenen Jahr in den Krieg gegen Aserbaidschan zog, griff auch die Gruppe um Tankian und Dolmayan zu ihrer stärksten Waffe: der Musik. Nach 15 Jahren Pause veröffentlichten System of a Down mit „Protect the Land“ und „Genocidal Humanoidz“ erstmals wieder zwei neue Studioaufnahmen. Beide Lieder widmen sich der Verteidigung Armeniens.

Doch wo andere Musiker gern mal dem friedlichen Miteinander der Menschheit das Wort singen, beziehen SOAD klar Stellung. „Wenn sie versuchen werden, dich zu vertreiben. Würdest du bleiben und dich wehren? Würdest du bleiben mit der Waffe in der Hand?“, fragen sie in „Protect the Land“. Der Song ist denen gewidmet, die genau das tun: den armenischen Streitkräften. Ihnen, „die das Land vor Plünderern und Eindringlingen“ schützen, sende die Band so „unsere Geschichte und den Sieg und das Vermächtnis“ zur Unterstützung. Und die beschränkt sich nicht nur auf Worte und Noten.

Sämtliche Einnahmen aus den zwei Liedern flieĂźen in Hilfsfonds fĂĽr Armenien. Mehr als elf Millionen Mal wurde das Video zu „Protect the Land“ auf Youtube bereits aufgerufen, wo es allein bisher schon rund 270.000 Dollar Spenden einsammelte. Es zeigt die armenischen Truppen und ihre Kämpfe. Die Soldaten, die das Kreuz des orthodoxen Priesters kĂĽssen, bevor sie in den SchĂĽtzengraben gehen. Den Taxifahrer, der die FeldmĂĽtze aufsetzt, den Chirurgen, der den OP-Handschuh mit dem Kampfhandschuh tauscht, die Lehrerin, die im Klassenzimmer die Feldbluse ĂĽberstreift und wenig später mit Helm an der Front zu sehen ist. Sie alle sollen zeigen: Hier kämpft ein ganzes Volk fĂĽr seine Heimat, seine Kultur und seine Zukunft. 

Mittlerweile herrscht Waffenstillstand in Bergkarabach. Mehr als 4.000 armenische Soldaten fielen in dem Konflikt, Tausende weitere wurden verwundet. FĂĽr sie veranstaltete System of a Down Ende Januar auf Youtube einen Spendenabend, bei dem sie das Musikvideo fĂĽr „Genocidal Humanoidz“ präsentierten und in einem Livestream auf die Folgen des Krieges aufmerksam machten. Die Einnahmen hieraus flossen ebenfalls in den „Armenia Fund“, der sich unter anderem um die Versorgung von Veteranen kĂĽmmert und Prothesen und Behandlungen fĂĽr Soldaten finanziert, die bei den Kämpfen Arme oder Beine verloren. 

Mitte Februar nun lief in den digitalen Kinos die Dokumentation „Truth to Power“ über System of a Down an. Regie führte der armenischstämmige Filmemacher und Autor Garin Hovannisian, der bereits das Drama „1915“ produzierte, das ebenfalls den Völkermord an den Armeniern thematisiert.

Die jetzige Dokumentation legt den Fokus auf Sänger Serj Tankian, seine Musik, seine Unterstützung der Massenproteste 2018 gegen die damalige korrupte armenische Regierung und seinen andauernden Kampf um Gerechtigkeit für Armenien. Für die Opfer von einst und jetzt, die neben Haus, Hof und Heimat nicht selten auch ihr Leben verloren. Seine Botschaft lautet: „Öffne die Augen, mach den Mund auf – und – bilde eine Faust!“