© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11-21 / 12. März 2021

„Man glaubt wohl, uns nicht anders bremsen zu können“
Die AfD geht in die ersten zwei Landtagswahlen des Superwahljahrs 2021. Die – vorerst gescheiterte – Verfassungsschutzbeobachtung, vor allem aber Corona und die Lage der Bundespartei machen im Wahlkampf zu schaffen, so die zwei Spitzenkandidaten. In Stuttgart hofft Bernd Gögel dennoch auf einen Überraschungserfolg
Moritz Schwarz

Herr Gögel, was bedeutet die erst angekündigte, nun untersagte Beobachtung durch den Verfassungsschutz für die AfD im Superwahljahr 2021?

Bernd Gögel: Der Entscheid des Verwaltungsgerichts Köln, die Beobachtung vorerst zu verbieten, bestärkt mich: Davon könnten wir profitieren! Weil damit juristisch klargestellt ist, daß der Verfassungsschutz kein Regierungsschutz ist.Und ich frage mich, ob dahinter nicht ein positives Signal steckt: Was ist der Grund für eine so verzweifelte Maßnahme? Verfügen die Verantwortlichen vielleicht über neueste Umfragerohdaten, die es ihnen angezeigt erscheinen ließen, zu diesem Mittel zu greifen?  

Glauben Sie das im Ernst, ist das nicht Pfeifen im Walde? 

Gögel: Es war offensichtlich ihre letzte Keule, die sie aus dem Arsenal geholt haben. Wohl weil sie glauben, uns nicht anders bremsen zu können.

Laut jüngster Umfrage liegt Ihre AfD bei 12, also 3 Prozent unter dem Wahlergebnis 2016. Dennoch glauben Sie, erneut 15 Prozent zu holen. Was kommen Sie darauf?

Gögel: Die Unzufriedenheit im Land wächst täglich. Ich glaube deshalb, ein Überraschungserfolg ist absolut möglich. 

Was, wenn es doch nur zwölf Prozent – oder gar weniger – werden? 

Gögel: 2016 lagen wir in den Umfragen ähnlich wie jetzt – doch am Wahlabend waren es dann 15,1 Prozent. 

2021 ist nicht 2016 – meinen Sie nicht, die Südwest-AfD müßte sich bei ihren Wählern diesmal sogar entschuldigen?

Gögel: Wie meinen Sie das?

Ich meine die letzten vier Jahre: Spaltung der Fraktion, keine klare Kante in der Causa Gedeon, ein Landeschef, der sich ins EU-Parlament absetzt, eine neue Landesvorsitzende mit Wahlkampfspendenaffäre, Polizeieinsatz im Plenum, Schwund der Fraktion von 23 auf 15 Abgeordnete etc.  

Gögel: Daß sich unsere erste Fraktion nicht mit Ruhm bekleckert hat, stimmt. Als neue Partei hatten wir es mit sehr verschiedenen, nicht eingespielten Charakteren, oft ohne politische Erfahrung, zu tun. Daß acht Mitglieder die Fraktion verlassen haben, hat allerdings auch zur Konsolidierung geführt, denn wenn politische Schnittmengen schwinden, ist es vernünftig, sich zu trennen. Gleichzeitig haben wir uns professionalisiert, die Unerfahrenheit von 2016 ist vorbei!

Wie können Sie, angesichts des speziellen Wahlrechts im Land, sicher sein, sich nicht wieder Problemkandidaten einzufangen?

Gögel: Es stimmt: Da nicht die Landespartei, sondern die Kreisverbände – die bei kleinen Parteien nur zehn Mitglieder haben können – die Landtagskandidaten wählen, birgt unser Landeswahlrecht ein Moment des Unkalkulierbaren; andererseits jedoch ist es auch eines der demokratischsten, was ich als hohes Gut sehe! Unsere Kandidaten stimmen mich aber zuversichtlich: Überwiegend sind es diesmal Leute mit politischer Erfahrung! 

Anders als 2016 ist die AfD heute in einer fundamentalen Krise. Spielt das keine Rolle? 

Gögel: Doch, und ich glaube, daß diese uns daran hindert, unser Potential auszuschöpfen. Das jedoch liegt ja nicht bei 15 Prozent, sondern deutlich höher. Deshalb ist ein Ergebnis wie 2016 trotz der Krise nicht unrealistisch. Denn es ist zu spüren, wie sehr dem Land eine konservative Kraft fehlt!

Wer ist schuld an der Krise der Partei?

Gögel: Ich schiebe keinem alleine die Schuld zu, sondern ermahne alle – mich inklusive, denn auch ich mache Fehler –, disziplinierter und verantwortungsbewußter zu sein! Man muß nicht jeden Parteistreit öffentlich austragen. Auch nicht richtig ist aber, alles stets zudecken zu wollen. Sind etwa Leute in der Partei, die mit Demokratie und Grundgesetz nichts anfangen können, können wir die nicht beschützen. Wir müssen da ganz eindeutig sein! Ebenso warne ich davor, sich vor allem mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Jörg Meuthen hat sich unlängst klar dazu geäußert. Zum Glück, denn das ist der richtige Weg! Wir dürfen auch keine Angst haben, wenn wir wegen eines zukunftsorientierten Kurses fünfhundert oder tausend Mitglieder verlieren sollten, die lieber im Gestern leben. Auf lange Sicht gewinnen wir so deutlich mehr dazu – Mitglieder und Wähler! 

Sie selbst gelten mal als „Rechter“, mal als „Bürgerlicher“. Wie sehen Sie sich selbst? 

Gögel: Ich gehöre keinem Lager an, galt aber als „Rechter“, weil ich die Erfurter Resolution unterschrieb, aus der der Flügel entstand. Dabei hatte das nichts mit Björn Höcke zu tun, sondern ich hielt und halte sie für richtig! Schließlich bin ich zum einen zwar wegen der Euro-Kritik zur AfD gekommen, zum anderen aber wegen der Forderung nach mehr Demokratie. Ich habe aber auch keine Berührungsangst bei Höcke, weil ich Menschen nicht nach Etikett beurteile. Ich will sie kennenlernen, mir ein Bild machen und sie danach beurteilen, wie sie tatsächlich sind. Ebenso habe ich mich nicht der Spaltung der Landtagsfraktion verweigert, weil ich Wolfgang Gedeon zugestimmt hätte, mit dessen Thesen ich nichts anfangen kann. Ja, mit denen ich mich gar nicht beschäftigen möchte, weil ich nicht glaube, daß sie auch nur das Geringste mit den Problemen unseres Landes zu tun haben. Sondern deshalb, weil die Spaltung falsch war. Mich interessiert nur, was praktisch falsch läuft im Land, und wie wir die Zukunft retten können. 

Und, interessiert das auch die Wähler oder geht es denen derzeit nur um Corona?

Gögel: Die meisten interessieren sich derzeit einfach nicht für eine Landtagswahl. Wirklich jedes Gespräch beginnt und endet mit Corona, und in neunzig Prozent geht es auch dazwischen nur darum. Dabei würden wir sehr gerne auch über anderes Wichtiges sprechen. 

Zum Beispiel? 

Gögel: Die Strukturprobleme, etwa daß Baden-Württemberg, aber auch Deutschland insgesamt, bei der Digitalisierung ebenso wie der IT-Bildung an Schulen und Hochschulen nur noch im Mittelfeld liegen. Daß es an unseren Schulen vor allem um soziale Experimente statt um Bildung und Leistung geht. Daß unsere Infrastruktur in inakzeptablem Zustand ist. Daß wir unsere Autoindustrie zerstören. Ja, daß wir uns insgesamt nicht für die Zukunft rüsten, uns stattdessen mit allem möglichen anderem beschäftigen, die Grünen alles blockieren und die übrigen Parteien ihnen hinterherlaufen. Das sind Themen, die nach Corona mit Macht wiederkommen werden, und die deshalb, vor allem mit Blick auf unsere Kinder, im Wahlkampf eine viel größere Rolle spielen müßten. 






Bernd Gögel, ist Spitzenkandidat und Fraktionsvorsitzender der AfD in Baden-Württemberg. Geboren wurde der Kaufmann und Speditionsunternehmer 1955 in Niefern bei Karlsruhe. 

 www.bernd-goegel.de

Foto: Angeknackstes Wahlplakat: „Die Krise der Partei hindert uns daran, unser Potential auszuschöpfen. Doch liegt das deutlich höher als 15 Prozent. Deshalb halte ich ein Ergebnis wie 2016 dennoch nicht für unrealistisch.“ (B. Gögel) „Unsere (Umfrage-)Verluste sind nicht auf die Landespolitik, sondern ... auch auf die innerparteiliche Entwicklung zurückzuführen“ (M. Frisch)