© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Zollinspektor Zufall
Praxistest: Zum Schutz vor Corona hat der deutsche Innenminister Grenzkontrollen eingeführt / In der Realität lassen sie sich leicht umgehen
Hinrich Rohbohm

Seit einem Monat kontrolliert Deutschland verschärft an den Grenzen zu Tschechien und dem österreichischen Bundesland Tirol. Als am 14. Februar die neuen von Bundes-

innenminister Horst Seehofer erlassenen Maßnahmen in Kraft treten, ist die Aufregung groß. Kilometerlange Staus an den Grenzübergängen. Besonders Lastwagenfahrer sind genervt. Der Grund: Corona-Testpflicht vor der Einreise nach Deutschland. Die Folge: Warteschlangen, Unmut, Frust. Frust vor allem über den daraus resultierenden Menschenauflauf und die damit verbundene Befürchtung, sich nun erst recht mit dem Virus zu infizieren.

Daß etwas nicht stimmt, wird schon in München klar, als wir den EuroCity-Zug nach Verona nehmen wollen. „Fahrt fällt aus“, teilt die Bahn mit. Der Grund: „Behördliche Anordnung.“ Wer auf Schienen über die Grenze nach Tirol will, muß die Regionalbahn nehmen. Und auch die endet nicht mehr wie sonst im österreichischen Kufstein, sondern im deutschen Kiefersfelden. Einem kleinen Ort, in dem selbst Fremde stets mit einem freundlichen „Servus“ oder „Grüß Gott“ gegrüßt werden.

Zu Fuß machen sich Reisende mit Rucksack und Rollkoffer auf zum etwa zwei Kilometer entfernten Grenzübergang. Ein halbes Dutzend Polizisten haben sich hier postiert. Eine Art mobiles Grenzkontrollbüro steht neben der Straße. „Die kontrollieren jetzt wirklich jeden“, bestätigt uns ein älterer Anwohner. Gerade fährt ein Laster vor. Die Polizisten halten ihn an. Der Fahrer muß aussteigen, wird in das Kontrollbüro gebeten. Ansonsten ist die Straße wie leergefegt.

Keine Staus, keine Warteschlangen. Wie kann das sein? „Die weichen jetzt alle über Salzburg aus“, berichtet der Anwohner. Normalerweise herrsche um diese Zeit auf der Kufsteiner Straße Hochbetrieb. „Viele Skiurlauber weichen auf der Autobahn kurz vor der Grenze hierher aus.“ Dann würden sich die Autos bis in den Ortskern aneinanderreihen. Doch Skiurlauber gibt es nicht. Nicht jetzt, in Zeiten von Corona. Und so sind es nur wenige Lastwagen und ein paar Zugreisende mit ihrem Gepäck, die vorbeikommen.

Wie aber sieht es auf der Autobahn aus? „Zu Beginn der Grenzkontrollen herrschte Chaos“, schildert uns ein weiterer Anwohner. Er erzählt von bis zu vierzig Kilometer langen Staus, von genervten Brummi-Fahrern. Aber das alles sei längst wieder vorbei. „Das ging nur ein paar Tage so. Inzwischen winken sie die meisten Fahrer durch. Die machen nur Stichproben und ziehen vielleicht jeden zwanzigsten raus.“ Andere Ortsansässige machen ähnliche Beobachtungen. Und bestätigen: Die Lkw-Fahrer weichen nach Osten aus und kommen nun über Salzburg nach Deutschland. Spielen sich also nun dort chaotische Szenen ab? Wir fahren weiter nach Freilassing, dem Grenzübergang Richtung Salzburg in Österreich.

Auch hier bietet sich ein differenziertes Bild. „Jeder wird kontrolliert“, sagt uns eine Schaffnerin mit Blick auf die Einreise per Bahn nach Österreich. Habe jemand keine Einreiseerklärung dabei oder könne keinen negativen PCR-Test vorweisen, werde der Reisende nicht ins Land gelassen. „Die setzen die Leute dann umgehend in den nächsten Zug zurück nach Deutschland.“

Auch die Einreise von Österreich nach Deutschland wird kontrolliert. In Freilassing hat der Zug deshalb eine Verspätung von 30 Minuten. Ein halbes Dutzend Polizeibeamte steigt hinzu, geht durch die Waggons, fordert von den Fahrgästen die zur Weiterreise erforderlichen Papiere. Auch wir werden kontrolliert. „Wohin fahren Sie und von wo kommen Sie?“, wollen die Beamten wissen. Wahrheitsgemäß antworten wir, daß wir erst in Freilassing zugestiegen sind. Die Antwort genügt den Kontrolleuren. Es zeigt: Wären wir aus Österreich eingereist und hätten lediglich angegeben, in Freilassing zugestiegen zu sein, wäre es ein leichtes gewesen, sich der Kontrolle zu entziehen.

Einfach war es auch für einen parkenden Lkw-Fahrer, der in Freilassing eine Pause einlegt. „Ich bin gleich über Salzburg gefahren statt über Tirol“, erzählt er und schmunzelt. „Das alles ist reiner Aktionismus. Wenn über Tirol kontrolliert wird, wählen die Leute eben eine Ausweichroute. Und? Wem ist damit gedient? Wir Fahrer verlieren nur Zeit.“ Am Grenzübergang in Freilassing habe es für ihn „überhaupt keine Probleme“ gegeben.

Vielleicht ist es genau das. Aktionismus. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Politiker, als sich in einer Krise vorwerfen lassen zu müssen, untätig geblieben zu sein. Über lange Jahre war Deutschland von Wohlfühlpolitik geprägt. Jetzt aber trifft Wohlfühlpolitik auf Krise. Und Grenzkontrollen mit Staus und Warteschlangen sorgen für unschöne Bilder. Unschöne Bilder, die die Politik auch schon ab 2015 in der Migrationskrise unbedingt vermeiden wollte. Und so ist es nur logisch, daß auch jetzt in Zeiten der Pandemie Symbolpolitik als Beweis aktiven Handelns herhalten muß. Wir fahren weiter zum etwa 20 Kilometer von Freilassing entfernten Grenzort Laufen, einer Kleinstadt mit 7.000 Einwohnern, die nur durch den Alpenfluß Salzach vom österreichischen 5.000-Einwohner-Städtchen Oberndorf getrennt ist. Die Salzachbrücke verbindet die beiden Orte miteinander. Wir gehen hinüber Richtung Österreich. Zwei Polizisten haben am anderen Ende der Überführung Stellung bezogen. Sie kontrollieren die Autofahrer. Aber nur stichprobenartig. Wir gehen an den Uniformierten vorbei. Nicken ihnen sogar noch freundlich zu, als sie zu uns sehen. Keine Anstalten einer Befragung. Es wäre ein leichtes gewesen, weiter nach Österreich zu gehen. Ohne PCR-Test, ohne Einreiseerklärung. 

„Kontrolliert wird da praktisch gar nicht“

Wir gehen zurück auf die bayerische Seite der Brücke. Deutsche Kontrollen? Fehlanzeige. Am Brückenende sitzen drei junge Frauen und ein junger Mann. Sie kommen eigentlich aus Österreich, gehen nach wie vor zwischen beiden Ländern hin und her. Ohne Einreiseerklärung, ohne PCR-Test. „Die deutsche Polizei kommt etwa zwei- bis dreimal am Tag hier vorbei, mehr nicht“, sagen sie. Und erzählen von einer weiteren, kleineren Fußgängerbrücke, bei der es nach wie vor gang und gäbe ist, daß Leute die Grenze passieren. „Kontrolliert wird da praktisch gar nicht.“ Bei der Fußgängerbrücke handelt es sich um den Europasteg, keine 500 Meter entfernt. Passanten bummeln über die Brücke, gehen über die Grenze. Manche haben PCR-Test und Einreiseerklärung, andere haben gar nichts, wie wir erfahren. „Wir waren gerade drüben einkaufen“, schildert ein junges Pärchen, wie einfach und normal der Grenzwechsel hier erfolgt. Offene Geschäfte, offene Restaurants auf österreichischer Seite. Für einen Besuch alles kein Problem, während deutsche Einzelhändler und Gastronomen auf der anderen Seite des Flusses das Nachsehen haben. 

Es ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Pandemie-Realität. In einer Zeit, in der Wohlfühlpolitiker plötzlich Krise können müssen und offenbar wie Getriebene in wilden Aktionismus verfallen, um nicht als untätig dazustehen.