© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Ein Viertele
Landtagswahl I: Grüne profitieren von der Beliebtheit des Ministerpräsidenten / CDU droht Absturz
Kurt Zach

Der „Fall Löbel“ hat der baden-württembergischen CDU gerade noch gefehlt. Gut eine Woche vor der Landtagswahl macht der Bundestagsabgeordnete aus der zweitgrößten Stadt des Landes Negativschlagzeilen, weil er mit Provisionen in sechsstelliger Höhe für Masken-Geschäfte von staatlichen Corona-Zwangsmaßnahmen persönlich profitiert hat – dümmer kann es kaum noch kommen. Das massive Drängen zum umgehenden Rückzug des Mannheimer CDU-Bundestagsabgeordneten und Jungunternehmers Nikolas Löbel von Mandat und Kandidatur spricht für die Panik, welche die Parteispitzen in Bund und Land erfaßt hat. Frei nach der alten Trainer-Weisheit: Erst hatten sie kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.

Der nominelle Schuldige dürfte damit immerhin schon feststehen, wenn die CDU am kommenden Wochenende in Baden-Württemberg voraussichtlich ein weiteres Negativ-Rekordergebnis einfährt. Abgezeichnet hat sich der Absturz gleichwohl schon eine ganze Weile vorher. Zehn Tage vor der Wahl gaben die Demoskopen der Union nur noch 25 Prozent, noch zwei Prozentpunkte weniger als beim Debakel von 2016, als die regierungsgewohnte CDU von den Grünen, die sie fünf Jahre vorher von der Macht verdrängt hatten, auch als stärkste Partei im Landtag entthront wurde. Inzwischen ist die CDU in Baden-Württemberg auf 24 Prozent gefallen und hat elf Punkte Rückstand auf die Regierungspartei.

Der tiefe Fall spiegelt die personelle Auszehrung und den bundespolitischen Gewichtsverlust der Südwest-CDU, die fast sechs Jahrzehnte den Ministerpräsidenten stellte und nun gegenüber ihren besten Zeiten mehr als halbiert dasteht. Thomas Strobl, Landesvorsitzender und Innenminister, der vor fünf Jahren die CDU zum Juniorpartner der Grünen gemacht hatte und auf den Sprung ins Bundeskabinett hoffte, sitzt immer noch im Südwesten. 

Grüne fahren eine „Landesvater“-Kampagne

Die Spitzenkandidatur überließ er diesmal Kultusministerin Susanne Eisenmann, die sich mit mäßigem Erfolg bemüht hatte, Ordnung ins vorgefundene grün-rote Schulchaos zu bringen. Mit Forderungen nach früheren Schulöffnungen konnte sie sich nicht durchsetzen. Dem wachsenden Verdruß über die Corona-Fehlleistungen der Merkel-Union kann die Südwest-CDU kein eigenes Profil oder Gewicht entgegensetzen. Markante Köpfe hat sie nicht zu bieten, ihr Wunschkandidat Friedrich Merz ist zweimal mit dem Griff nach dem Parteivorsitz gescheitert.

Gegenüber dem amtierenden grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, dessen Zustimmungs- und Beliebtheitswerte die Zwei-Drittel-Marke übertreffen, bleibt die CDU-Herausforderin ein Leichtgewicht; gerade mal ein Fünftel ist mit ihrer Arbeit zufrieden oder möchte sie als Regierungschefin, selbst die Unions-Anhänger ziehen mehrheitlich Kretschmann vor.

Das mag erstaunen, denn die grüne Regierungsbilanz ist keineswegs glänzend. Schlag auf Schlag verliert das wohlstandsverwöhnte Autoland Baden-Württemberg Industriearbeitsplätze, nicht zuletzt dank grüner Steckenpferde wie Atomausstieg, Klimaschutz und E-Mobilität; das Schulsystem ist schon in Kretschmanns erster Amtszeit von einem Spitzenplatz ins untere Mittelfeld abgestürzt, und die ideologische Verkehrspolitik des grünen Fundamentalisten Winfried Hermann treibt selbst Parteifreunde zur Verzweiflung.

Der wandlungsfähige Ex-K-Gruppen-Aktivist Kretschmann versteht es freilich, den Eindruck zu erwecken, als schwebe er über seiner Partei und habe mit deren ideologischen Verirrungen im Grunde gar nichts zu tun. Konsequent fahren die Grünen um ihren Erfolgsgaranten eine „Landesvater“-Kampagne, wie sie die CDU zu Teufels oder Filbingers Zeiten nicht besser hinbekommen hätte: „Grün wählen für Kretschmann“ lautet die Hauptbotschaft, selbst auf den Kandidatenplakaten; sein weißhaariges Haupt verkündet Allgemeinplätze wie „Er denkt ans Ganze“ oder okkupiert gar den Merkel-Spruch „Sie kennen mich“.

Ob ein möglicher Nachfolger des mittlerweile 72jährigen Kretschmann, der im Wahlkampf auch wegen der Krebserkrankung seiner Frau bereits kürzer tritt, eine solche Scharade wiederholen könnte, ist fraglich. Der als Kronprinz gehandelte grüne Landtags-Fraktionschef Andreas Schwarz gilt als wenig charismatisch. Als farbloser Kellner in der grün-schwarzen Koalition hat die CDU der Kretschmann-Kampagne jedenfalls keine eigene Botschaft entgegenzusetzen. Weiß auf Orange plakatiert sie, grammatikalisch nicht immer unfallfrei, grüne Angebote wie alternative Mobilität oder eine Frau im Chefsessel.

Kaum noch wahrnehmbar ist die schon im Plakatdesign blasse Südwest-SPD. Wenn ihr Frontmann Andreas Stoch, Kultusminister im ersten Kabinett Kretschmann, „mehr Tatkraft in die Regierung“ verspricht, kann es allenfalls um die Reihenfolge der Mehrheitsbeschaffer in einer Ampel-Koalition wie im benachbarten Rheinland-Pfalz gehen. Die „Linke“, die abermals mit Klassenkampfparolen gegen Reiche und Vermieter langweilt, ist in Baden-Württemberg wohl wieder chancenlos. Auf dem Weg in die Einstelligkeit liegt die SPD mit zehn Prozent derzeit gleichauf mit der FDP, deren Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke sich, im psychedelischen Magenta-Knallgelb-Design grüßend, durchaus regierungswillig zeigt. 

Wahrscheinlicher, und in den Umfragen auch favorisiert, ist allerdings eine Neuauflage der grün-schwarzen Koalition mit einer abermals geschrumpften CDU. Oppositionsführer wäre in diesem Fall wohl wieder die AfD mit ihrem Spitzenkandidaten und Fraktionsvorsitzenden Bernd Gögel. Die AfD, die in der Energie-, Verkehrs- und Coronapolitik Gegenpositionen zur etablierten Politik einnimmt und 2016 mit 15 Prozent erstmals in den Landtag eingezogen war, ist trotz aller Querelen und Spaltungen wieder im Aufwind und wurde eine Woche vor dem Wahltag mit elf bis zwölf Prozent gehandelt. Das Unmutspotential im Land ist offenkundig nach wie vor groß; neu gemischt werden die Karten aber wohl erst, wenn Winfried Kretschmann in den Ruhestand geht.