© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Bundestag hat Bytehemmung
Paul Rosen

In ihren Bundestagsreden beschwören Politiker nur zu gern die Bedeutung der Digitalisierung. „Lücken bei der Digitalisierung dürfen nicht zum handfesten Wettbewerbsnachteil für kleine und mittlere Unternehmen werden“, heißt es etwa aus dem Munde von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der mit Milliardenprogrammen die Digitalisierung befördern will. Und mit Dorothee Bär (CSU) gibt es in der Bundesregierung sogar eine „Staatsministerin für Digitalisierung“. Die hat angekündigt, daß alle Dienstleistungen des Staates bis 2022 online gestellt werden sollen. Wenn die beiden Politiker im Bundestag ihre wolkigen Ziele formulieren, schreiben wenige Meter hitner ihnen Stenographen jeden Satz mit und setzen später ein Protokoll auf – wie vor über 150 Jahren bereits im Parlament des Norddeutschen Bundes und später im Reichstag üblich. Schon dieses kleine Beispiel zeigt, daß zwischen Politiker-Reden und Wirklichkeit gewaltige Lücken klaffen.

Denn die parlamentarische Welt, in der sich Altmaier, Bär und die rund 700 Abgeordneten bewegen, funktioniert noch auf Aktenordner-Basis. Aktenzeichen, Trennblätter, Locher, Umlaufmappen, Bleistifte, Radiergummis und Büroklammern sind auch heute noch unverzichtbare Utensilien in der 3.000 Mitarbeiter zählenden Bundestagsverwaltung. Natürlich steht auf jedem Büroschreibtisch ein Computer, und es gibt Gruppenlaufwerke, damit die Dateien nicht permanent per E-Mail versandt oder auf Sticks kopiert werden müssen. Im Ergebnis wird dort jedoch nur gespeichert, was vorher analog ausgedruckt, gestempelt, unterschrieben und gegengezeichnet wurde. 

Als wegen Corona das Drängen von Politikern zur Heimarbeit immer größer wurde und schließlich auch für die Beschäftigten der Bundestagsverwaltung ermöglicht werden sollte, war schnell klar, daß die Trends tief und fest verschlafen worden waren. Standard sind heute nicht mehr die großen Computer unter dem Schreibtisch, sondern leistungsfähige Laptops, die durch Vernetzung überall genutzt und die im Büro an eine sogenannte Docking-Station angeschlossen werden. Der mit so einem Laptop ausgerüstete Mitarbeiter kann überall arbeiten 

Soweit die Theorie. Im Bundestag gibt es diese modernen Docking-Stations so gut wie gar nicht. Die Verwaltung versucht seit Corona im Eiltempo, zusätzliche Laptops für die Mitarbeiter zu beschaffen. Die Beschaffung stockt, weil die Geräte aus Sicherheitsgründen erst sehr aufwendig aufgerüstet werden müssen. Nach Angaben der Verwaltung haben inzwischen drei Viertel der 1.870 Mitarbeiter, die für Heimarbeit in Frage kommen, die Möglichkeit dazu. Allerdings gibt es in den Referaten zu wenige Laptops. Die Geräte müssen aufgeteilt werden, so daß sich Mitarbeiter nicht selten auf Bahnhöfen oder Parkplätzen zur Übergabe von Laptops treffen. 

Zu Hause warten die nächsten Probleme: Das Internet ist in Teilen Berlins so langsam, daß der Zugriff auf den Bundestagsserver kaum möglich ist. Erfahrene Bundestagsmitarbeiter nehmen daher lieber ein oder zwei Aktenordner nach Hause und arbeiten auf Papier.