© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Rutte rüttelt nur wenige wach
Niederlande: „Corona“ legt den Wahlkampf lahm / Geert Wilders freut sich über alte Stärke
Mina Buts

Rauchwurst ist die holländische Leibspeise, die schön kleingewürfelt in jedem Eintopf und in jeder dicken Suppe zu finden ist. Jetzt hat Unox, Hauptproduzent dieser speziellen Wurstart, angekündigt, nur noch halb soviel Fleisch in die Wurst zu packen. Das sei ein Beitrag zu Klimarettung, verbessere den ökologischen Fußabdruck und diene einer besseren Welt. Unox verspricht, daß sich aber am Geschmack der Würste nichts ändern wird. Nun hat die Rauchwurst zwar nichts mit dem niederländischen Wahlkampf zu tun, aber die Nachricht über ihre Neukomposition schlägt in der  Woche vor der Parlamentswahl ein. 

Selten war ein Wahlkampf so langweilig. Der Liberale Mark Rutte ist der alte Ministerpräsident und wird auch der neue werden. Nach der peinlichen „Kinderzuschlagsaffäre“, bei der Zigtausende Familien – wie sich später herausstellte aus Arroganz und Unfähigkeit der staatlichen Behörden – in den finanziellen Ruin getrieben wurden, war Rutte kurzzeitig zurückgetreten, um als „Saubermann“ in den Wahlkampf gehen zu können. 

Da das „Corona“-Regime aber beherzte Köpfe braucht, dauerte der Rücktritt vom Rücktritt nur einen Tag, auf das Kabinett Rutte III wird direkt nach der Wahl Rutte IV folgen. Vielleicht gelingt es ihm sogar noch, Angela Merkel, die nur fünf Jahre länger im Amt ist, zu überholen. In den vergangenen Monaten wirkte er – genauso wie sie -– amtsmüde und uninspiriert. „Corona“ bekommt auch er nicht in den Griff. 

Verwüstungsorgien sind Vergangenheit

Die Staatsschulden der sparsamen Niederländer explodieren, sie sehen sich mit einem coronabedingten Extra-Schuldenberg von über 74 Milliarden Euro konfrontiert, von dem sie jetzt schon sagen, daß sie ihn niemals werden abtragen können.

Die Niederlande wirken im Moment vor allem lethargisch. Die beeindruckenden Bilder von den abendlichen Verwüstungsorgien, die es in etlichen Städten wegen der nächtlichen Ausgangssperre gab, sind verflossen. Auf die erfolgreiche Klage gegen diese krasse Freiheitsbeschränkung reagierte das Parlament schon am nächsten Tag mit einer Notverordnung.

 Glücklich können sich im Moment nur jene Hundebesitzer schätzen, deren Hunde auch nach 21 Uhr noch mal rausmüssen. Erste Hunde-Ausleihen werden schon organisiert.

Im sonntäglichen Trott treffen sich  „Kaffeetrinker“ zur Demo in Amsterdam, jedesmal wird ein Dutzend von ihnen mit Ordnungsgeldern verwarnt. Die Schulschwimmbäder dürfen Mitte März wieder öffnen – als ob die jemand vermissen würde –, für alle anderen Einrichtungen, ob Gastronomie oder Geschäfte, sind Lockerungen auf Ende April verschoben worden. Wer aus einem mit „Code Orange“ bezeichneten Gebiet kommt, muß in Quarantäne; niemand kontrolliert und ehrlich gesagt weiß auch niemand, welches Gebiet gerade „Code Orange“ ist. 

Ein Wahlkampf findet nicht statt. Die PVV von Geert Wilders hat schon immer darauf verzichtet, auf sozialen Medien aufzutauchen, sie wird also nicht wirklich vermißt. Dennoch kann sich Wilders über einen Stimmenzuwachs freuen. Mit den prognostizierten 24 statt der vorherigen 20 Sitze wäre er die zweitstärkste Kraft der Niederlande. 

Die Grünen spielen nur am Rand eine Rolle in dem Land, in dem gerade ein Bauherr und ein Standort für ein neues AKW gesucht werden. Sie sind nur wenig stärker als die „Partei für die Tiere“, die sich gerade über eine hohe Spende für den Wahlkampf freuen konnte. Die Christdemokraten haben sich mit ihrer Forderung nach einer drastischen Kürzung des Arbeitslosengelds gerade selbst kastriert, dürfen aber noch auf 17 Sitze hoffen.

Thierry Baudet will erneut durchstarten 

Die einzige Partei, die tatsächlich Wahlkampf führt und täglich an bis zu drei Orten mit ihrem Spitzenkandidaten Thierry Baudet auftritt, ist das „Forum für Demokratie“. Nach der Quasi-Selbstauflösung und dem Revival kann es mit fünf Sitzen rechnen. 

Die Stimmabgabe darf – außer für über 70jährige – nur im Wahllokal erfolgen, und die Stadt Rotterdam hat sich als Weckruf überlegt, daß aus den dort benötigten 90.000 roten Bleistiften dann ein Kunstwerk gegen Analphabetismus entstehen soll.

Im Endspurt versuchte Rutte die Niederländer zum Corona-Jubiläum  wachzurütteln. „Die Tatsache, daß es schon ein Jahr her ist, macht alle ein wenig mutlos. Dieses Gefühl habe ich auch oft“, erklärte der 54jährige. Doch helfe es, zu erkennen, daß sich die Krise „dem Ende zuneigt. Und daß wir uns dann zusammenraufen, um gestärkt weiterzumachen.“