© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Der Beton soll grüner werden
Klima: Mit Möglichkeiten der Begrünung der Innenstädte beschäftigt sich eine Ausstellung in Frankfurt
Paul Leonhard

Kleine Birken, die früher aus Mauerritzen wuchsen, galten früher als Kennzeichen fortgeschrittener Vernachlässigung von Gebäuden, heute dagegen sind Haus- und Dachbegrünung im Bestand und Neubau erwünscht und werden staatlich gefördert. Der grüne Stadtumbau ist längst im Gange.

Wo vor kurzem noch graue Kiesdächer und Betonfassaden die Sonne reflektierten, wuchern Kräuter, ganze Baumlandschaften und Hängepflanzen. Wo vor Jahren weiße Hausgiebel strahlten, rankt sich wilder Wein, und in den Höfen wetteifern Gemüse und Rankgewächse um jeden Sonnenstrahl. Selbst im (hochwertigen) Neubau setzen sich komplexe horizontale oder vertikale Grünsysteme durch. Gleichzeitig verschwinden in deutschen Städte aber ob der Wohnungsnot baumbestandene Grundstücke, es wird verdichtet, was das Zeug hält.

Wie der Spagat zwischen beiden Tendenzen gelingen kann, damit beschäftigt sich die Sonderausstellung „Einfach Grün – Greening the City“ im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main, die derzeit nur online, zu besichtigten ist, und in der beispielsweise eine solitäre Gießkanne ein Ausstellungsobjekt ist.

Gebäudegrün bindet Kohlendioxid

Die Schau stellt nicht nur internationale Beispiele begrünter Hochhäuser, Wohnhäuser und Fabriken vor, sondern auch zahlreiche grüne Oasen, die Mieter in Frankfurt oder anderen Städten geschaffen haben. Für ersteres stehen beispielsweise die auf einer Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen errichtete Skipiste, die beiden Wohntürme „Bosco-Verticale“ in Mailand, mit ihrem vertikalen Wald, das einem mit Hainbuchen bestückten Hügel gleichende Geschäftshaus Kö-Bogen II in Düsseldorf oder der von einem britischen Architekturbüro in Shanghai gebaute steinerne Berg zum Wohnen und Arbeiten. Bei diesem wachsen aus riesigen Betontrögen Bäume. Hier wird ausgelotet, was technisch möglich ist.

Über die überraschenden und teilweise skurrilen Entwürfe renommierter Architekturbüros können die Besucher staunen oder den Kopf schütteln, erfreuen werden sie sich eher an den Beispielen kleiner Initiativen. „Neubauten können Impulse setzen, aber richten können wir das Kleinklima in dichten Städten wie Frankfurt am Main nur, wenn im Bestand massiv mit Grün nachgerüstet wird“, sagt Rudi Scheuermann, der gemeinsam mit Hilde Strobl die Ausstellung kuratiert hat.

Gebäudegrün auf Dächern und an Fassaden bindet Kohlendioxid und Feinstaub, erhöht die Luftfeuchtigkeit, trägt zur Temperatursenkung in heißen Sommern bei und bietet überdies Insekten eine Überlebensinsel. Wandgärten können überdies sehr praktisch sein, wenn Wein oder Spalierobst an ihnen gedeihen.  

Schon vor Eröffnung der Ausstellung hatten die Kuratoren die Bevölkerung zum Mitmachen aufgerufen: Sie wollten wissen, wo genau es diese von ihnen favorisierten grünen Inseln in den Städten gibt, die dem klimatischen Verhältnis von Architektur, Bewohnern und Nutzern so positiv zuträglich und von den Straßen oft wenig einsehbar sind. Sie wollten die Initiatoren kennenlernen und erfahren, wie diese vorgegangen sind, wozu die grünen Dächer und Fassaden dienen.

Wissenschaftlich ist längst erwiesen, daß Grün das Klima in den Städten verbessert, die Hitzebildung und Feinstaubbildung reduziert, das Wohlbefinden der Menschen steigert und damit auch Aggressionen abbaut. Und glaubt man der Statistik, besteht eigentlich gar kein Handlungsbedarf. Deutsche Großstädte sind seit den 1990er Jahren immer grüner geworden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes stieg in den 14 bevölkerungsreichsten Städten der prozentuale Grünflächenanteil pro Kopf zwischen 1996 und 2018 von 18 auf 25 Quadratmeter. Aber das Grün ist ungleich verteilt. Neben Parks, Kleingartenanlagen und Botanischen Gärten geht es vor allem um das individuelle Grün vor dem eigenen Wohnblock oder den kleinen Mietergarten im entsiegelten Hinterhof.

„Mieter können das Haus selbst begrünen, einen Dachgarten anlegen, Terrassen oder Balkone bepflanzen, an den Fassaden Rankhilfen anbringen“, sagt Hilde Strobl. Und natürlich sind Gründächer die große Mode. „Diese saugen bei Starkregen das Wasser wie ein Schwamm auf und geben es langsam in die Entwässerung oder ins Grundwasser ab“, schwärmt Scheuermann.

Wild aus Mauerritzen herauswachsende Birken sind im Konzept Grün nicht vorgesehen, üppiges Verwuchern schon. Damit Pflanzen nicht das Mauerwerk schädigen, soll ihnen gezielt Raum angeboten werden, in den sie wachsen dürfen.

Werbung macht die Schau beispielsweise für spezielle mit einer vorbesamten Substanz gefüllte Pflanzsäcke. Diese müssen einfach nur auf vom Kies befreite Flachdächer aufgebracht werden, damit ein Gründach entsteht. Die Säcke selbst schützen das Dach vor einer Durchwurzelung. „Alles muß so simpel wie möglich sein“, sagt Kurator Scheuermann: „Grün funktioniert dann, wenn die Menschen die Bepflanzung selbst machen können und dafür keine Fachfirma benötigen.“

Sollten Museen im Frühjahr wieder öffnen dürfen, kann der Besuch der grünen Sonderschau (bis 20. Juni) im Architekturmuseum durchaus Anregung sein, anschließend in den Baumarkt zu fahren und sich mit Pflanzmaterial einzudecken – für ein gesünderes Stadtklima und gegen die durch die Pandemieeinschränkungen aufgestauten Aggressionen. Rosen und Feuerdorn sollen dank ihrer Dornentriebe übrigens gegen nächtlich aktive Graffiti-„Künstler“ helfen.

Die Ausstellung „Einfach Grün – Greening the City“ des Deutschen Architekturmuseums im Netz:

 Dam-online.de