© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Linke Kritik am Einfamilienhaus
Eigenes Heim Glück allein
Markus Brandstetter

Das eigene Haus nimmt in der Kultur- und Gefühlswelt der Deutschen einen ganz besonderen Platz ein, was sich an Sprichwörtern wie „Eigener Herd ist Goldes wert“ zeigt. Das eigene Haus wird aber nicht nur in Deutschland hochgeschätzt, sondern auch in England, wo es heißt: „There is no place like home“, oder in Italien, wo man sagt: „A casa sua ognuno è re“ (Zu Hause ist jeder ein König).

Der hohe Wert, den die Deutschen dem eigenen Herd beimessen, wird von Statistikern und Meinungsforschern seit Jahrzehnten immer wieder bestätigt: Die meisten Deutschen, in Summe sind es 85 Prozent, träumen vom eigenen Heim, das recht oft am Stadtrand im Grünen steht. Fast alle Bürger dieses Landes wollen lieber in den eigenen vier Wänden als zur Miete wohnen, inklusive jener, die bereits im Eigenheim leben und die Kaufentscheidung offensichtlich nicht bereuen.

Insgesamt 16 Prozent aller Deutschen planen konkret, ein Haus zu kaufen. Diese Zahl wirkt auf den ersten Blick nicht gerade hoch, aber das Bild ändert sich, wenn man weiß, daß in der Gruppe der 30- bis 39jährigen jeder dritte in den nächsten fünf Jahren „auf jeden Fall eine eigene Immobilie kaufen will“ – und das ist natürlich genau die Gruppe derer, die am häufigsten Immobilien kaufen.

Das eigene, am liebsten freistehende Haus im Grünen hat für die Deutschen eine fast schon mythische Bedeutung. Dahinter stecken der Drang nach Freiheit, Unabhängigkeit und der Wunsch, etwas zu besitzen, das einem ganz allein gehört und das man einmal seinen Kindern hinterläßt. 

Im echten Leben erfüllt sich dieser Wunsch nach der eigenen Immobilie immer seltener, was auch an den immer weniger werdenden Baugenehmigungen liegt. Bundesweit hat sich die Zahl der genehmigten Einfamilienhäuser seit 1999 mehr als halbiert. Vor allem in großen Städten werden weniger Einfamilienhäuser gebaut. So wurden beispielsweise in Berlin von Januar bis November 2020 gerade einmal 1.023 Ein- und Zweifamilienhäuser genehmigt.

Noch schlimmer ist die Situation in Hamburg, wo kaum noch Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut werden: Von Januar bis November 2020 wurden in Hamburg nur 867 Wohngebäude mit ein oder zwei Wohnungen genehmigt, 2019 waren es 871 gewesen. Am dramatischsten ist die Situation im Hamburger Bezirk Nord, da wurden 2020 überhaupt nur zwei Ein- und Zweifamilienhäuser genehmigt.

Der Hintergrund für den Wunsch nach dem eigenen Haus liegt zuerst einmal in der in Deutschland traditionell niedrigen Eigentümer-Quote. Nur 51 Prozent der Deutschen besitzen eine eigene Immobilie, wozu natürlich auch Eigentumswohnungen zählen. Die anderen wohnen zur Miete – und das ist problematisch, denn die Mieten steigen seit Jahren, und trotz immer verzweifelterer Versuche der Politik, das zu bekämpfen, ist kein Ende in Sicht. Deutschland hat seit Jahrzehnten die niedrigste Wohneigentumsquote in der ganzen Europäischen Union – Rumänen, Kroaten, Polen, Tschechen, Spanier, Italiener, ja sogar Griechen besitzen im Schnitt mehr Wohneigentum als die Deutschen.

Die eigene Immobilie, insbesondere aber das eigene, am liebsten freistehende Haus im Grünen hat also für die Deutschen eine fast schon mythische Bedeutung. Dahinter stecken zum Teil ökonomische Erwägungen, aber auch der Drang nach Freiheit, Unabhängigkeit und der Wunsch, etwas zu besitzen, das einem ganz allein gehört und das man einmal seinen Kindern hinterläßt.

Die Kritik am Wunsch nach dem eigenen Haus ist alt und wird seit Jahrzehnten hochemotional vorgetragen. Einer der wichtigsten Kritiker des Einfamilienhauses war und ist der längst verstorbene Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich (1908–1982) mit seinem Buch „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“. In diesem Buch, das den Diskurs bis heute beeinflußt, schildert der selber in einer großbürgerlichen Villa aufgewachsene Mitscherlich seine Spaziergänge durch Villenvororte mit unverhohlener Abneigung:

„Die Unwirtlichkeit unserer (...) Städte drückt sich in deren Zentren ebenso aus wie an der Peripherie (...). Durchstreift man diese oft reichen Einfamilienweiden, so ist man überwältigt von dem Komfortgreuel, den unsere technischen Mittel hervorzubringen erlauben. (...) Das Vorort-Einfamilienhaus, dieser Nachkömmling der noch stadtbezogenen Villa des späten 19. Jahrhunderts, ist der Begriff städtischer Verantwortungslosigkeit: Dem Bauherrn ist es gestattet, seine Wunschträume mit seiner Identität zu verwechseln.“

Diese seit Jahrzehnten schwelende Kritik am Einfamilienhaus, die in den 1970er Jahren mit der Kritik an der Zersiedelung von Landschaft ihren Ausgang nahm, wurde in diesen Tagen von dem Grünen Anton Hofreiter wiederaufgenommen. In einem Interview mit dem Spiegel sagte Hofreiter: „Einparteienhäuser verbrauchen viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedelung und damit auch für noch mehr Verkehr.“ Der Fraktionschef der Grünen bezog sich mit dieser Aussage ganz konkret auf den Bezirk Hamburg-Nord, wo das für Baugenehmigungen verantwortliche Bezirksamt von einem grünen Lokalpolitiker geleitet wird, der den Bau von Einfamilienhäusern seit Jahren vereitelt.

Schützenhilfe bekam Hofreiter in dieser Diskussion unverzüglich und sehr ausdrücklich vom Linken-Chef Bernd Riexinger, der sich den Meinungen des Obergrünen anschloß und auch im Namen der Linkspartei den Neubau von Einfamilienhäusern ablehnte.

Grüne und Linke negieren mit ihren Aussagen den Urtraum der Deutschen nach einem eigenen Haus und rühren damit an eine alte Wunde, die ihren Ursprung in der Geschichte hat, denn die im europäischen Vergleich extrem geringe Quote der deutschen Haubesitzer – nur in der Schweiz sind es mit 41 Prozent noch weniger – ist ein Erbe der wechselhaften deutschen Geschichte.

Als der Zweite Weltkrieg vorüber war, lagen 20 Prozent der deutschen Häuser, insgesamt mehr als als 2,25 Millionen, in Schutt und Asche, weitere zwei Millionen waren teilweise schwer beschädigt. Im Jahr 1946 fehlten nach Untersuchungen der Alliierten fünfeinhalb Millionen Wohnungen. Für einen schnellen Wiederaufbau der zerstörten Bausubstanz in großem Stil und damit auch von Einfamilienhäusern fehlten Finanzmittel, Kredite und politischer Wille in Form von Gesetzen. Die Konsequenz daraus war in vielen Städten das schnelle Hochziehen billig gebauter Mietskasernen oft im Besitz von kommunalen Genossenschaften, in denen die Wohnungen bescheiden und die Mieten niedrig waren.

Obwohl die zehnjährigen Bauzinsen zwischen 2012 und 2021 von vier Prozent auf unter ein Prozent gefallen sind, Kredite also immer billiger wurden, hat die gegenläufige Verteuerung der Immobilienpreise dazu geführt, daß immer weniger Deutsche sich ein eigenes Haus leisten können.

Als in den sechziger Jahren zur Zeit des Wirtschaftswunders immer mehr Deutsche schließlich doch Haus und Grund erwerben wollten, bauten die Banken hohe Hürden auf, die im großen und ganzen bis zum heutigen Tag gelten: 20 Prozent der gesamten Kaufsumme der Immobilien mußte der Käufer als Eigenkapital in Form von Ersparnissen mitbringen, Summen, über die vor den Lohnsteigerungen der 1970er wenige verfügten. Also blieben viele Menschen zur Miete wohnen. Erst Mitte der siebziger Jahre brach eine Zeit an, in der steigende Ersparnisse auf damals noch bezahlbaren Wohnraum trafen. Die dreißig Jahre zwischen 1975 und 2005 dürfen deshalb heute als goldene Jahrzehnte des deutschen Einfamilienhauses gelten.

Mit dem Ende der Finanzkrise 2009 und der Senkung des Leitzinses der Europäischen Zentralbank nach und nach gegen Null ging diese gute Zeit zu Ende. Seit dem Jahr 2010 steigen die Immobilienpreise in Deutschland, befeuert durch eine Politik des billigen Geldes, kontinuierlich an, was zu einem unauflösbaren Paradoxon geführt hat: Obwohl die zehnjährigen Bauzinsen zwischen 2012 und 2021 von vier Prozent auf unter ein Prozent gefallen sind, Kredite also immer billiger wurden, hat die gegenläufige Verteuerung der Immobilienpreise dazu geführt, daß immer weniger Deutsche sich ein eigenes Haus leisten können – selbst in mittleren Lagen kostet ein freistehendes Einfamilienhaus heute überall mehr als eine halbe Million Euro.

Und nun haben die Grünen beschlossen, diesem alten deutschen Traum vom Einfamilienhaus komplett den Garaus zu machen. Aber nicht aus ökologischen Motiven, wie man vielleicht denken könnte, sondern rein aus Gründen der Ideologie. Die Grünen sind aus der Anti-Atomkraftbewegung der späten siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts entstanden. Die Atomkraftgegner waren aber nie Umweltschützer per se, sondern immer Kritiker von Industriegesellschaft, Marktwirtschaft und dessen, was sie in der Nachfolge Marx’ als „Kapitalismus“ bezeichnen. Es ist natürlich schwer, sich sein ganzes Leben lang zu verstellen, weshalb Hofreiters unvorsichtiger Lapsus nachvollziehbar ist: In einem unbedachten Moment hat er das laut gesagt, was er und die Spitze der Grünen seit jeher ablehnen: das ganz normale Leben und Denken der Deutschen, in dem die Sehnsucht nach dem Einfamilienhaus an oberster Stelle steht.






Markus Brandstetter, Jahrgang 1961, arbeitet als Coach und Finanzspezialist in der Mittelstandsberatung. Er ist Autor eines Fachbuches über Kreditsicherheiten. Auf dem Forum verhandelte er zuletzt die Frage, ob Einschränkungen für nicht gegen Sars-CoV-2 Geimpfte gerechtfertigt seien („Der Imperativ ist kategorisch“, JF 51/20).

Foto: Die meisten Deutschen wünschen sich ein eigenes Haus: Doch die Zahl der genehmigten Einfamilienhäuser hat sich seit 1999 mehr als halbiert. Das hat Günde