© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/21 / 12. März 2021

Kabinenklatsch
Mea maxima culpa!
Ronald Berthold

Der FC St. Pauli ist wahrscheinlich das einzige Politbüro, das eine Mannschaft im bezahlten Profi-Fußball kicken läßt. Hier geht – und das schon lange, bevor diese Welle auf fast alle anderen Bundesliga-Vereine überschwappte – Haltung vor Ergebnis. Wie in guten alten Stalin-Zeiten sind im Kiez-Klub Kritik und Selbstkritik ein wichtiger Teil des sozialistischen Miteinanders. 

Immer schon habe ich mich gefragt, wie es mit den Antifa-Idealen der Funktionäre und Fans zusammenpaßt, daß der Verein in braunen Hemden spielt und den Totenkopf zum Vereinssymbol gemacht hat. Vielleicht mit dem Zitat eines berühmten Denkers: „Der neue Faschismus wird nicht sagen: ‘Ich bin der Faschismus.’ Er wird sagen: ‘Ich bin der Antifaschismus.’“ Wie auch immer: Dieser braune Totenkopf-Klub also hat sich zu meiner Schadenfreude in seinem eigenen Leitbild verheddert. Vor dem Spiel gegen den Lokalrivalen HSV postete die Vereinsseite auf Facebook einen Cartoon. 

Ein Shitstorm bei ideologiefesten St. Pauli-Anhängern? Ich wollte den Selbsttest machen, fand aber nichts. 

Die vier Bilder des Mini-Comics zeigen vier Stimmungslagen, in denen sich ein Fan befindet, während er das Derby schaut – immer engagiert und aufgewühlt. Eigentlich nichts Besonderes für einen leidenschaftlichen Anhänger.

Dann hörte ich, daß die Zeichnung einen Shitstorm der ideologiefesten Pauli-Anhänger auslöste. Bevor ich las, warum, wollte ich den Selbsttest machen: Ich schaute mir den Comic immer und immer wieder an – aber ich fand nichts. Die Auflösung: Sexismus und Rassismus! Denn der gemalte Fan ist doch tatsächlich ein Mann und dazu noch blond. Und mir war das trotz größter Mühen nicht aufgefallen. Da bin ich wohl selbst Sexist. Mea culpa, liebe Frauen!

Das Politbüro am Millerntor mit angeschlossener Fußball-Abteilung entschuldigte sich sofort demütigst bei seinem aufmerksamen Fußvolk und zeigte, wie stalinistische Selbstkritik im 21. Jahrhundert funktioniert: Das habe man „verbockt“. Die Kritik sei „völlig richtig“ und „hilft uns, uns immer wieder selbst zu überprüfen und zu verbessern“. In diesem Sinne: Rotfront, Genossen!