© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Im Digimahlzeitalter angekommen
Werner Becker

Deutschland ist, wie die Corona-Politik beweist, eine Digitalwüste. Faxgeräte in Gesundheitsämtern, in Ministerien und Behörden, Faxgeräte wohin man schaut. Ist also die ganze Verwaltung im Postkutschenzeitalter hängengeblieben? Nein! Die Mitarbeiterkantine im Bundestag wird nun zu einer Art gallischem Dorf wider die 19. Jahrhundert-Mentalität. Hier wird ab sofort digital verfolgt – zwar nicht das Coronavirus, aber immerhin schon das Geschirr. Das geht aus der internen Hausmitteilung 048/2021 des Bundestags mit dem etwas sperrigen Titel „Einführung eines digitalen Mehrwegsystems für die Mitnahme von Speisen in der Mitarbeiterkantine des Jakob-Kaiser-Hauses und im Selbstbedienungsrestaurant des Paul-Löbe-Hauses“ hervor.

Dort wurde das Essen bisher wegen Corona nämlich nur noch in Styropor-Einwegverpackungen ausgereicht. Die sahen schlimm aus, sind nicht biologisch abbaubar und produzierten Müll in Hülle und Fülle. Mit der VYTAL-App (Eigenwerbung: „Spare mit uns Verpackungsmüll und werde Teil der Bewegung!“) wird nun alles moderner, schicker und auch einfacher. Das Ganze funktioniert wie folgt: Die Speisen werden an den Ausgaben in eine Mehrwegschale gefüllt. An den Kassen wird der QR-Code auf der Schale und des Gastes (VYTAL-App) gescannt. Die Rückgabe erfolgt über Rückgabeboxen innerhalb oder Systempartner außerhalb des Hauses (z. B. Restaurants im Umfeld des Deutschen Bundestages). Die Schalen bestehen aus BPA-freiem Kunststoff, sind auslaufsicher sowie geeignet für Mikrowelle, Gefrierschrank und Spülmaschine. Kleiner Schönheitsfehler: Mikrowellen und Gefrierschränke sind im Bundestag gar nicht erlaubt. Vielleicht animiert die umfangreiche Verwendung der Digital-Schalen jedoch den einen oder anderen dazu, das Geschirr „mitgehen“ zu lassen. Auch dafür gibt es natürlich eine Lösung: Wird das Mehrweggeschirr nicht innerhalb von 14 Tagen wieder zurückgegeben, werden 10 Euro fällig. Dafür darf man das QR-Code-geeignete Behältnis dann aber auch behalten. Für immer.

Für notorische Fortschrittsverweigerer wird es „eine gewisse Ãœbergangsphase“ geben, in der Styropor- und Digitalteller gleichzeitig ausgegeben werden („Verbrauch von Restbeständen“). So ganz überzeugt das ausgeklügelte System jedoch noch nicht jeden. So ist auf den Fluren der Einwand zu hören, am einfachsten wäre es doch, wenn man sein eigenes Geschirr mitbringen könnte, das von den fleißigen Kantinenmitarbeitern dann einfach befüllt wird. Hier grätscht allerdings eine der vielen Infektionsschutzverordnungen dazwischen, aus der hervorgeht, daß eigenes Geschirr die Infektionsgefahr erhöht. 

Der Rest der Verwaltung braucht wohl noch ein paar Zubringer, um vom Rübenacker auf die digitale Überholspur der Kantine zu wechseln. So müssen etwa Anfragen der Abgeordneten an die Bundesregierung noch immer per Fax geschickt werden. Wer auf „Fax to Mail“ zurückgreift, wird vom Parlamentssekretariat belehrt, daß die Mail dann auch nur ausgedruckt und als Fax an die zuständigen Ministerien weitergeleitet werden.