© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Umzingelt von Freunden
AfD: Nach über einem Jahr mit Notvorstand hat der Berliner Landesverband wieder eine gewählte Spitze / Sonderparteitag in Niedersachsen?
Christian Vollradt

Bei Wahlen und Abstimmungen in der AfD ist eines ganz sicher: daß nichts sicher ist. Und so war auch vor dem Parteitag des Berliner Landesverbands kaum zu prognostizieren, wer die neue Parteispitze bildet. Weit weniger ungewöhnlich dagegen, daß das Ergebnis so denkbar knapp wie nur möglich ausfiel. Mit 122 zu 120 Stimmen setzte sich schließlich Abgeordnetenhausmitglied Kristin Brinker gegen die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch durch – in der Stichwahl des zweiten Wahlgangs, nach drei ergebnislosen Anläufen also. Kurios, jedoch nicht in einer Partei, in der das Patt zwischen den gegnerischen Lagern ein normaler Aggregatzustand ist. 

„Jetzt nicht in die Dana-Guth-Falle tappen“

Bemerkenswerter war, daß die Hauptstadt-AfD überhaupt endlich einen Parteitag abhalten konnte, wenn auch quasi im Brandenburger Exil. Ursprünglich sollte das Treffen vor mehr als einem Jahr stattfinden. Allerdings fand die AfD keine geeigneten Räumlichkeiten. Nach eigenen Angaben hatte sie mehr als 170 Betreiber von Veranstaltungslokalen angefragt. Mehrfach waren diese von Linksextremen eingeschüchtert worden. Zuletzt mußte ein Notvorstand unter Führung des Europaabgeordneten Nicolaus Fest die Geschicke lenken. 

Die Vorstandswahl vom Wochenende spielte sich vor dem Hintergrund eines erbitterten Machtkampfs in der Abgeordnetenhausfraktion ab. Dort war Brinker vergangenes Jahr von ihrem Posten als stellvertretende Vorsitzende zurückgetreten. Sie hatte schwere Vorwürfe gegen Fraktionschef Georg Pazderski sowie Fraktionsgeschäftsführer Frank-Christian Hansel erhoben und ihnen unter anderem eine Zweckentfremdung von Geldern vorgeworfen. Ihre Widersacher warfen Brinker im Gegenzug vor, ein Gutachten eines Wirtschaftsprüfers manipuliert zu haben. Gegen die Behauptung klagte die Politikerin und unterlag in zweiter Instanz. Als sie sich kurzfristig zur Kandidatur für den Landesvorsitz entschloß, suchte Brinker die Unterstützung durch Exponenten des früheren „Flügels“. Das half offenbar – allerdings kam es nicht zu einem „Durchmarsch“. Im Gegenteil. Nur zwei Kandidaten, die dem „Flügel“ klar zugeordnet werden können und zwei weitere mit einer Nähe zur Parteirechten wurden in die neue Landesführung gewählt.   

Die Gegenseite verfügt über eine Mehrheit im Gremium. Für die neue Landesvorsitzende ist die Ausgangslage zu Beginn ihrer Amtszeit also alles andere als komfortabel. Denn einerseits werden ihre Unterstützer aus den Reihen des einstigen „Flügels“ nun den „Lohn“ für ihre Hilfestellung einfordern, andererseits würde Brinker so etwas nicht gegen eine Mehrheit im Landesvorstand durchsetzen können. Pikant ist darüber hinaus, daß nun auf der Leitungsebene, der auch Schatzmeister Hansel wieder angehört, diejenigen an einem Tisch sitzen, die außerhalb gegeneinander prozessieren. „Das ist Politik, das handhaben wir ganz professionell“, winkt ein Betroffener ab.

Entscheidend dafür, daß die Gruppierung um die unterlegenen Kandidatin von Storch mit einem blauen Auge davonkam, war die auf dem Parteitag verschickte Parole, nun bloß nicht in die „Dana-Guth-Falle“ zu tappen. Das war eine Anspielung auf das Verhalten der früheren niedersächsischen AfD-Vorsitzenden (die mittlerweile aus der AfD aus- und den LKR beigetreten ist). Guth hatte im vergangenen Herbst nach ihrer Niederlage gegen ihren Widersacher Jens Kestner den Parteitag gemeinsam mit zahlreichen Getreuen verlassen und so erst den „Durchmarsch“ der Konkurrenz widerstandslos ermöglicht. 

Dort in Niedersachsen geht unterdessen der parteiinterne Machtkampf munter weiter. In einer Mail an die Mitglieder teilte Landeschef Jens Kestner mit, daß ein Beschluß von 13 Kreisvorständen zur Durchführung eines außerordentlichen Landesparteitages eingereicht worden sei. Daß in dem Schreiben einzelne AfD-Funktionäre, die dem neuen Vorstand kritisch gegenüberstehen, namentlich erwähnt und so von Kestner hervorgehoben wurden, werteten nicht wenige in der AfD als Pranger. Hintergrund der Forderung mehrerer Kreisverbände ist offenbar der Vorwurf, der Landesvorstand wolle die Listenaufstellung für den Bundestag, bei der die vom Vorstand bevorzugten Kandidaten unterlegen waren, mit Geschäftsordnungs-Tricks wiederholen.  

Um das zu verhindern, hatte bereits der Bundesvorstand ein Ultimatum gesetzt. Diese doppelte Drohkulisse hat offenbar gewirkt: Die niedersächsische Landeswahlleiterin Ulrike Sachs bestätigte auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT, daß das laut Bundeswahlordnung notwendige Formblatt mit einer Landesliste durch den AfD-Landesverband Niedersachsen eingereicht wurde.