© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Wo drei sich streiten
Dänemark: Das bürgerlich-rechte Lager wirbelt durcheinander / Sozialdemokratie lacht sich ins Fäustchen
Christoph Arndt

Zur Hälfte der regulär bis Juni 2023 andauernden Legislaturperiode ist das bürgerliche Dänemark in Aufruhr. Beide großen bürgerlichen Parteien, die rechtsliberale Venstre und die rechtskonservative Dänische Volkspartei (DF), befinden sich seit geraumer Zeit in einer Krise – in beiden Fällen hausgemacht. Dementgegen können die Konservativen, welche bei den letzten Wahlen um ihre langfristige Existenz bangen mußten, ein unerwartetes Comeback feiern.

Ein weiterer Profiteur ist die neue Rechtspartei Neue Bürgerliche (NB), welche 2019 mit 2,4 Prozent erstmals äußerst knapp in das Folketing einziehen konnte, jetzt aber mit Umfragewerten um neun Prozent vor der DF (sechs Prozent) liegt. 

NB punktet mit restriktiver Zuwanderungspolitik

NB und deren Chefin Pernille Vermund sind mit einer Kombination aus Wirtschaftsliberalismus, restriktiver Zuwanderungspolitik und breiter Kritik an der Coronapolitik der Regierung („Die Kosten für den Shutdown sind zu hoch,  und die Wiedereröffnungen sind viel zu langsam“) Gewinner der Krisen bei Venstre und DF und können als unverbrauchter Neuling auftrumpfen. Analysen gerade der Wählerwanderungen bis Anfang 2021 zeigen, daß die neuen Wähler der NB fast ausschließlich von DF und Venstre stammen.

Die DF, bisher eine der erfolgreichsten Rechtsparteien Europas, ist seit den überraschend deutlichen Verlusten bei der Folketingswahl 2019 in einer Dauerkrise. Sie verlor 2019 mehr als die Hälfte ihrer Wähler und stürzte von 21 Prozent auf unter neun Prozent ab. Die Krise ist auch eine Führungskrise, da der Parteivorsitzende Kristian Thulesen Dahl zunehmend von Parteikollegen öffentlich kritisiert wird und die Medien seit Herbst 2020 über seine Ablösung spekulieren.

Thulesen Dahl hatte 2015 ein historisches Ergebnis als neuer Vorsitzender eingefahren, konnte politische Erfolge der DF wie Burkaverbot, das Ghettopaket zur Bekämpfung von Parallelgesellschaften oder den Paradigmenwechsel in der Asylpolitik aus der Legislaturperiode 2015 bis 2019 im Wahlkampf 2019 nicht verkaufen. 

Er gilt internen Kritikern als zu unsichtbar und habe strategische Fehler wie die öffentliche Diskussion über eine Kooperation oder Koalition mit den Sozialdemokraten (S) im Wahlkampf 2019 gemacht. Dies hätte den eingeleiteten Kurswechsel der Sozialdemokraten in der Zuwanderungspolitik glaubwürdiger erscheinen lassen und Wählerwanderungen von DF zu S forciert.

Mit dem  stellvertretenden Vorsitzenden Morten Messerschmidt stünde ein möglicher Nachfolger bereit, der die Rückendeckung der langjährigen Vorsitzenden und grauen Eminenz Pia Kjærs-gaard hat. Jedoch hat Messerschmidt den Skandal um den Thinktank Meld & Feld aus dem Europaparlament als Hypothek, wo EU-Mittel zur unerlaubten Parteienfinanzierung verwendet wurden.

Venstre, welche im Zeitraum 2001 bis 2019 in 14 von 18 Jahren die Regierung anführte und Dänemarks vielbeachteten Kurswechsel in der Asyl- und Zuwanderungspolitik einleitete, war nach der Wahl zunächst durch die Zugewinne gestärkt, geriet dann aber ebenfalls in eine Krise.

Der langjährige Vorsitzende und zweimalige Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen wollte als Reaktion auf die spannungsgeladene Zusammenarbeit der bürgerlichen Parteien 2015 bis 2019 einen Strategiewechsel einleiten, welcher auch eine mögliche große Koalition mit den Sozialdemokraten einschloß. Dies wurde jedoch in einigen Parteigremien heftig kritisiert und eskalierte den Machtkampf mit seinem Stellvertreter Kristian Jensen, welcher Rasmussens strategische Überlegungen öffentlich ablehnte. Rasmussen trat am 31. August 2019 zurück, nachdem er seine Vorstellungen nicht auf einem Parteitag zur Abstimmung stellen durfte. Jensen, der seinerseits parteiinternen Druck der Rasmussen-Anhänger spürte, gab seinen stellvertretenden Vorsitz ebenfalls auf und mußte seinen Traum von der Ablösung Rasmussens begraben.

Islamkritische Mitglieder kehren Venstre den Rücken

Bei der Neuwahl des Vorstandes im folgenden September wurde Jakob Ellemann Jensen neuer Venstre-Vorsitzender und zunächst auch Fraktionsvorsitzender, in diesem Amt aber nach wenigen Monaten wieder abgelöst. Ellemann Jensen verkörpert eher ein klassisch liberales Profil und bekam mit der populären ehemaligen Zuwanderungsministerin Inger Støjberg eine Vertreterin des konservativen und islamkritischen Flügels als Stellvertreterin an die Seite. 

Jedoch bestand von Anfang an kein Vertrauensverhältnis zwischen Ellemann Jensen und Støjberg. Dies waren auch die Nachwirkungen einer Entscheidung Støjbergs als Zuwanderungsministerin 2016, wo sie mittels eines Dekretes die minderjährigen Ehefrauen von Asylbewerbern aus dem arabischen Raum trennte. 

Es ist nach wie vor nicht geklärt, inwieweit diese Entscheidung ungesetzlich war, und Støjberg muß sich derzeit vor einem Rigsret verantworten, einem Sondergericht für Minister in Dänemark. 

Nachdem Ellemann Jensen die Einsetzung des Rigsrets befürwortete und selbst diverse Venstre-Abgeordnete bei der Abstimmung dafür stimmten, trat Støjberg zunächst Ende 2020 als stellvertretende Vorsitzende zurück und im Februar 2021 aus der Partei aus. 

Bereits zum Jahreswechsel 2020/21 hatte Løkke Rasmussen die Partei aus Unzufriedenheit mit Ellemann Jensen verlassen und ein politisches Erdbeben ausgelöst. 

Politische Beobachter fragen folglich, wie Venstre die bisherige islamkritische Linie glaubhaft vertreten will, wenn bekannte Vertreter und Stimmengaranten wie Støjberg, Rasmussen oder Markus Knuth die Partei im Streit verlassen. Knuth, ein Vertrauter Støjbergs, war bereits Ende 2019 als Reaktion auf die Wahl Ellemann Jensens zu den Konservativen gewechselt.

Die Konservativen sind neben den NB ein Gewinner der Krisen bei Venstre und DF und seit mehr als zwei Jahrzehnten erstmals wieder größer als die Rechtsliberalen. Sie haben eigentlich kein stärkeres Profil abseits des wiederentdeckten Law-and-Order-Themas, und es bleibt daher die Frage, ob unzufriedene Mitte-Rechts-Wähler hier eine Zwischenstation machen oder die Partei dauerhaft neue Unterstützer binden kann.

 Ein weiterer Nebeneffekt der Krisen im bürgerlichen Lager Dänemarks ist ein nahezu sicherer Wahlsieg der regierenden Sozialdemokraten. Denn Ministerpräsidentin Mette Frederiksen überholt die dänische Volkspartei und Venstre seit längerem in der Frage rigider Migrationspolitik.