© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Erhitzte Gemüter um den „grünen Paß“
Israel: Der Virus bestimmt den 4. Wahlkampf innerhalb von zwei Jahren / Ultraorthodoxe auf den Barrikaden
Thorsten Brückner

Zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren wird Israel am 23. März eine neue Knesset wählen. Seit dem bisher letzten Urnengang vor knapp über einem Jahr ist in dem Land zwischen Mittelmeer und Jordan nichts mehr wie es einmal war. Ein Thema dominiert dabei die politische Auseinandersetzung: der Umgang mit dem Coronavirus. 

Dabei versucht die Regierung Netanjahu, mit einem rigiden Kurs beim Wähler zu punkten. Eine Rückkehr zu einem normalen Leben wird nur jenen gewährt, die sich gegen das Virus impfen lassen. Restaurant- und Pubbesuche sowie Konzerte nur für Geimpfte. Am Eingang von Shopping Malls, Einkaufsmärkten und Hotels müssen Besucher  einen „grünen Paß“ vorzeigen. 

Aufmerksamkeit erregten zudem Bilder von Liegestühlen am Strand von Tel Aviv mit der Aufschrift: „Reserviert nur für Geimpfte“. „Apartheid“ lautete der Vorwurf der Demonstranten, die zuletzt in Tel Aviv gegen die Regierungspolitik protestierten. Auf einem Schild verglichen sie den grünen Paß mit dem gelben Stern, den deutsche Juden ab 1941 tragen mußten. 

Auf dieser Demonstration sprach auch Arieh Avni, ein impfskeptischer Arzt, dem die Regierung Netanjahu – offensichtlich politisch motiviert –  im Februar die Zulassung entzog. Er tritt mit seiner Rappeh-Partei bei der Wahl an. Sie spricht sich gegen den grünen Paß und für Freiwilligkeit bei der Impfung aus. 

International für Aufmerksamkeit hat in den vergangenen Wochen aber vor allem Rappeh-Kandidatin Ilana Rachel Daniel gesorgt, eine amerikanische Israelin, die in zahlreichen englischsprachigen Videos auf die Situation in ihrem Land aufmerksam machte und dabei auch immer wieder Vergleiche mit der Unterdrückung der Juden in NS-Deutschland gezogen hat. 

Während Rappeh nur Außenseiterchancen eingeräumt werden, die Sperrklausel von 3,25 Prozent zu überwinden, wird eine weitere Parteineugründung sicher in die Knesset einziehen. Der frühere Innenminister und innerparteiliche Rivale Benjamin Netanjahus, Gideon Saar, tritt diesmal mit seiner eigenen Gruppierung „Neue Hoffnung“ an. Auf Platz zwei seiner Liste kandidiert eine weitere ehemalige innerparteiliche Gegnerin Netanjahus, Yifat Shasha-Bitton. Die 47jährige bildete über Monate als Leiterin des Knesset-Coronaausschusses ein Gegengewicht zu den radikalen Lockdown-Maßnahmen der Regierung. Im Wahlkampf bezeichnete sie der stellvertretende Gesundheitsminister Yoav Kisch als „Risiko für die Volksgesundheit“, weil sie sich für die Freiwilligkeit von Impfungen aussprach. 

 Zur Zielscheibe des Hasses von Medien und säkularen Politikern sind in den vergangenen Monaten besonders die Ultraorthodoxen geworden. 

Viele von ihnen verweigerten angesichts der rigiden Vorgaben der Regierung schlicht den Gehorsam, versammelten sich zu Gottesdiensten, feierten Hochzeiten und trugen dabei auch nicht immer Masken. 

Klare Mehrheitsverhältnisse  sehnlichst erwünscht 

Für den umtriebigen Vorsitzenden der in Umfragen hinter dem Likud zweitstärksten Partei Jesh Atid, Jair Lapid, Grund genug, den Einsatz von Wasserwerfern gegen seine jüdischen Mitbürger zu fordern, explizit sogar bei Beerdigungen. 

Auch andere Parteien haben die Ultraorthodoxen als Sündenbock entdeckt. Der Abgeordnete der linken Meretz-Partei Yair Golan forderte gar, ihnen die medizinische Behandlung zu verweigern, wenn sie sich nicht an die staatlichen Regeln hielten. 

Auch der frühere Außenminister Avigdor Lieberman, der erneut mit seiner Partei Yisrael Beiteinu ins Rennen geht, forderte ein schärferes Durchgreifen gegen ultraorthodoxe Regelbrecher.

Glaubt man den Umfragen, ist es nicht unwahrscheinlich, daß auch die vierte Wahl innerhalb von zwei Jahren keine klaren Mehrheitsverhältnisse liefern wird. Vieles wird davon abhängen, ob Benny Gantz mit seiner Partei Blau-Weiß die Sperrklausel überwinden kann. Auch Meretz steht erstmals seit ihrer Gründung vor dem Ausscheiden aus der Knesset. Viele ihrer Wähler dürften zur Arbeitspartei abwandern, die sich unter ihrer neuen Vorsitzenden Merav Michaeli ein betont linkes Profil gibt. Ein Verlierer der Wahl steht hingegen schon fest. Die israelische Gesellschaft, ohnehin schon gespalten zwischen Säkularen und Ultraorthodoxen, Juden und Arabern, wird von einer weiteren dauerhaften Spaltung gekennzeichnet sein: der zwischen Geimpften und Nichtgeimpften.