© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Die Alarmglocken läuten
Pensionskassen: Millionen Betriebsrentner in Deutschland müssen um ihre Zusatzversorgung fürchten
Jens Biedermeier

Vor acht Jahren wurde einer Geld­anlage für Kleinsparer der Stecker gezogen: Die Finanzagentur des Bundes beendete das Direktgeschäft mit Privatkunden. Seit 2013 werden keine neuen Bundesschatzbriefe herausgegeben. Die von dem Ökonomen Wilhelm Hankel entwickelten und 1969 erstmals von der Bundeswertpapierverwaltung herausgegebenen Anleihen finanzierten den Bundeshaushalt und ermöglichten eine sichere Vermögensbildung des „Kleinen Mannes“ – ganz ohne diverse „Zwischenhändler“, die die Hand aufhalten. Mit einer Laufzeit von sechs bis sieben Jahren stieg der Zins von anfänglich vier Prozent im ersten Jahr auf acht Prozent im sechsten Jahr.

Natürlich schwankte die Inflation in den siebziger und achtziger Jahren öfters zwischen drei und sechs Prozent, aber die mündelsicheren „Bundesschätzchen“ warfen eine Realrendite ab – und die D-Mark feierte Aufwertungsrunden. Das ist lange her – seit einigen Jahren finden sogar Bundesanleihen mit leicht negativer Rendite institutionelle Käufer. Aber das ist immer noch billiger, als die noch höheren Minuszinsen bei der EZB oder Privatbanken und Sparkassen zu zahlen.

Einige Berufsgruppen spürten die Euro-Politik bislang kaum, doch jetzt geht es auch den Pensionskassen an den Kragen: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) entzog zum Jahreswechsel dem Caritas Versicherungsverein und der Kölner Pensionskasse die Betriebserlaubnis. Ihre Finanzierungspläne zur Beseitigung der Unterdeckung seien unzureichend. 36 Kassen werden kritisch beobachtet, einige stellten bereits das Neukundengeschäft ein. Doch die 135 Pensionskassen mit 180 Milliarden Euro Vermögen versprechen eine zweite Altersvorsorge. Doch diese Ansprüche sind in Gefahr.

Die EZB-Niedrigzinspolitik seit 2009 mit einem aktuellen Hauptrefinanzierungssatz von null Prozent sowie der stetige Anleiheaufkauf führten zu einer enormen Steigerung der Geldmenge. Doch der angestrebte Inflationseffekt verpuffte, weil die Gelder in Aktien und Immobilien investiert werden. Diese „Vermögenspreisinflation“ und die Blasenbildung auf den Finanzmärkten haben Folgen: Negative Realzinsen erfreuen Schuldner und enteignen Sparer.

Zahlreiche Pensionskassenverträge wurden seinerzeit mit drei- bis vierprozentigen Zinsen abgeschlossen. Diesen stehen heute maximal drei Prozent Rendite gegenüber. Die vertraglichen Garantien lassen sich an den Kapitalmärkten nicht mehr erwirtschaften. Folglich ist der ursprünglich kalkulierte Zinssatz zu reduzieren. Die betriebswirtschaftlichen Korrekturen lassen sich im Spannungsfeld der hohen Lebenserwartung, potentiell steigender Zinsen, notwendiger Wertberichtigungen in den Bilanzen bis zu den reduzierten staatlichen Förderungen kurzfristig nicht vornehmen.

Reichen die Rückstellungen zur Anspruchssicherung?

Parallel fordert die BaFin von den Pensionskassen ausreichende Kapitalreserven. Die geforderten Rückstellungen führen zu weiteren Belastungen. In Abhängigkeit des vereinbarten Tarifes und der Zusammensetzung des Portfolios, bestehend aus den die Pensionskassen tragenden Unternehmen, führt eine nur 0,5prozentige Reduktion des kalkulierten Zinssatzes zu einer signifikanten Steigerung der Rückstellungen in Höhe von 7,5 Prozent bis 15 Prozent.

Profitable Unternehmen konnten den Pensionskassen zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. Doch häufig verfügen die Kassen nicht über eine solche Trägerstruktur; bei ihnen gibt es keine Nachschußpflicht. Zudem können Firmen pleite gehen. Die Rückstellungen sollen die zugesagten Betriebsrenten dennoch garantieren – doch irgendwann ist Ende der Fahnenstange, die Pensionskasse muß die Leistungen kürzen: aktuell im Schnitt um 7,54 Prozent. Für die Kölner Pensionskasse (31.000 Betroffene) bedeutet diese Kürzung eine Lücke von mindestens 48,3 Millionen Euro. Die Caritas-Pensionskasse (24.000 Betroffene) rechnet mit 122,8 Millionen Euro. Gemeinhin springt in solchen Fällen der Pensionssicherungsverein (PSVaG) ein. Für Pensionskassen, die als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit organisiert sind, gibt es jedoch keine Pflichtmitgliedschaft – und dann existiert kein Insolvenzschutz. Die mit der BaFin abgestimmten Sanierungspläne sollen dies verhindern. Für die bestehenden Versicherten sollen deren Verträge weiterbetreut werden. Sie werden jedoch weder verlängert noch deren Leistungen erhöht. Langfristig ist die Liquidation der Unternehmen unausweichlich.

In der Konsequenz werden diese Verträge – ähnlich wie bei Kapitallebensversicherungen – in „Run-off-Gesellschaften“ ausgelagert. Diese speziellen Abwicklungsgesellschaften sichern den Versicherten aber nur die Mindestkonditionen. Angesichts dessen und aufgrund der durch den Europäischen Gerichtshof festgestellten Unvereinbarkeit mit EU-Recht beschäftigt sich das Bundesarbeitsministerium mit der Gesetzeslücke im Insolvenzschutz. Zukünftig soll doch der PSV einspringen. Dieser ersetzt die Leistungen des Arbeitgebers und sichert die Betriebsrente – wenn der Bundestag irgendwann zustimmt.

Betroffene Firmen sollten daher die Standmitteilungen ihrer Mitarbeiter im Fokus behalten, um bei Leistungsveränderungen frühzeitig das Gespräch zu suchen. Gleiches gilt für die Arbeitnehmer. Im Falle sinkender garantierter Rentenbeträge sollten diese mit ihrem Arbeitgeber Kontakt aufnehmen, um die Ausgleichszahlung ihrer Rente zu fordern. Selbst der Verweis auf die Varianten der betrieblichen Altersversorgung Direktversicherung, Pensionsfonds, Unterstützungskassen sowie Direktzusagen löst die prekäre Lage der Pensionskassen nicht. Die Probleme sind systemimmanent – die Euro-Politik wird so schmerzlich erfahrbar.

BaFin-beaufsichtigte Pensionsfonds: portal.mvp.bafin.de





Pensionssicherungsverein (PSVaG)

Die 18,4 Millionen gesetzlichen Altersrentner erhielten 2019 – wenn sie mindestens 35 Versicherungsjahre vorweisen konnten – im Schnitt 1.269 Euro monatlich. Auf die höchsten Renten kamen Männer in NRW (1.689 Euro), auf die niedrigsten Frauen in Niedersachsen (1.134 Euro). 1,4 Millionen erhielten zudem eine Zusatzrente von im Schnitt 242 Euro aus einer betrieblichen Pensionskasse. 2019 waren laut BaFin-Statistik bei den 135 Pensionskassen 8,3 Millionen Arbeitnehmer versichert. Damit diese Betriebsrente oder auch andere Formen von Versorgungszusagen bei einer Firmenpleite nicht verlorengehen, gibt es in Köln den Pensionssicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG). Ursprünglich 1975 auf Initiative der sozialliberalen Bundesregierung und von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer gegründet, erhalten inzwischen etwa 530.000 Rentner ihre Zusatzrente durch den PSVaG. Der Pflichtbeitragssatz lag 2020 bei 4,2 Promille der Anwartschaften. Im Finanzkrisenjahr 2009 waren es 14,2 Promille. (jb)

www.psvag.de