© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Rosen für Angela
Ausstellung: Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden feiern eine Ikone der SED-Propaganda
Paul Leonhard

Als das Dresdner Bildungsbürgertum den Aufstand gegen die beliebten Staatlichen Kunstsammlungen wagt, weil dort „die kunstgeschichtliche Epoche zwischen 1945 und 1990 aus der Schausammlung ins Depot entsorgt“ worden war, wie der Kunstwissenschaftler Paul Kaiser im September 2017 in der Sächsischen Zeitung beklagte, muß die aus Westdeutschland stammende Museumsleitung etwas gründlich mißverstanden haben. Denn nachdem die ältere Generation der Dresdner wütend artikuliert hatte, im Albertinum jene Werke zu vermissen, die sie bis 1990 ein Leben lang begleitet hatten, und statt dieser nun „subkulturelle Albernheiten“ vorgesetzt bekämen, gaben die aus Düsseldorf stammende Generaldirektorin der Kunstsammlungen, Marion Ackermann, und die aus Kassel zugezogene Direktorin des Albertinums, Hilke Wagner, sofort nach. Dabei kamen sie in ihrem Bemühen, die Gunst der Einheimischen zurückzugewinnen, auf eine ganz merkwürdige Idee: Sie setzten eine Frau in den Mittelpunkt einer Sonderausstellung, in der sie sowohl altbekannte Künstler als auch Subkulturelles zeigen, und zudem eine Situation präsentieren konnten, „als sich Volk und Führung einig waren“, wie die FAZ in völliger Unkenntnis der damaligen historischen Situation titeln sollte.

,Jedes Schulkind in der DDR kannte sie

Die Frau im Mittelpunkt der Sonderschau war so gründlich aus dem Gedächtnis verdrängt, daß sich viele Bildungsbürger erst einmal verwundert die Augen reiben mußten, als die Kunstsammlungen die Ausstellung „Eine Million Rosen für Angela Davis“ offerierten.

Ja, tatsächlich, sie lebt noch, und ist sogar politisch überaus aktiv, jene inzwischen 77 Jahre alte US-Amerikanerin mit dem Afrolook, die Anfang der 1970er Jahre jedes Schulkind in der DDR kannte, weil alle fleißig Karten malen und schreiben mußten, in denen ihre Freilassung aus den Kerkern des „Reichs des Bösen“ gefordert wurde.

Zentral eingesammelt, gelangten diese „Protestkarten“ dann tatsächlich in die USA. Und, o Wunder, die Bürgerrechtlerin Davis – angeklagt nach dem Versuch einer bewaffneten Gefangenenbefreiung mit insgesamt vier Toten wegen „Terrorismus-Unterstützung“ – wird am 24. Februar 1972 nach Hinterlegung einer Kaution entlassen. Wie jubelte die hauptamtliche Pionierleiterin, die in unserer Klasse das Fach Kunsterziehung unterrichtete, als die „faschistischen Richter“ die junge Kommunistin von Mord, Menschenraub und Verschwörung freisprechen mußten. „Wir haben Angela Davis freigekämpft“, sagte sie mit glühenden Augen, während wir maulten, weil bereits eine erneute Kampagne anlief und wir nicht nur Altstoffe bei den Leuten erbetteln sollten, sondern auch noch das damit eingenommene Geld auf ein Solidaritätskonto für das heldenhaft für seine Freiheit kämpfende vietnamesische Volk einzahlen sollten.

Der Vietnamkrieg sollte uns länger beschäftigen als Angela Davis. Auch wenn sich ihr Bild mit eben jenem exotischen Look tief in unser Gedächtnis eingegraben hat, weil diese Frau so anders aussah als Erich Honecker oder Armeegeneral Hoffmann, mit denen sie sich später ablichten ließ. Aber so richtig haben wir nie verstanden, um was es in der Kampagne der SED-Führung damals ging. Und das Fünfpunkteprogramm der Partei- und Staatsführung kannten wohl nur wenige. Dieses sah eine „breite Brief- und Postkartenaktion mit der Forderung nach Freilassung“ begleitet von entsprechenden Medienberichten vor.

Ackermann und Wagner scheint diese staatlich verordnete Solidaritätsbewegung jedenfalls tief beeindruckt zu haben. Und weil sie ebenso wie der für Sachsen zuständige FAZ-Korrespondent die SED-Propagandalüge glauben, daß die Bekundungen für Davis tatsächlich den Herzen der DDR-Bürger entsprungen seien und nicht von der SED gesteuert waren, ist die Schau „Eine Million Rosen für Angela Davis“ im Lipsiusbau durchaus als ihr Versöhnungsangebot an die Dresdner zu verstehen.

In den Dresdner Sammlungen habe sie überall Spuren von Davis gefunden, sagt Ackermann stolz und verweist auf die VII. Kunstausstellung der DDR in Dresden, bei der die US-Amerikanerin ein prägendes Motiv war und aus deren Beständen sich neben Werken von Bernhard Franke und Christoph Wetzel auch das 1971 entstandene Ölgemälde „Angela Davis und ihre Richter. Das Bild vom anderen Amerika“ des von der SED wohlgelittenen Staatskünstlers Willi Sitte (1921–2013) erhalten hat.

Dieses ist jetzt mit rund fünfzig weiteren Kunstwerken sowie umfangreichem Archivmaterial ausgestellt, darunter Postkarten der damaligen Solidaritätsaktion, die eine US-amerikanische Privatsammlung erworben hat. Wer Glück hat, entdeckt vielleicht seine eigene Postkarte. Dazu kommen Neuproduktionen internationaler Künstler wie Steffani Jemison & Justin Hicks, Ângela Ferreira, Elske Rosenfeld und Lewis Watts sowie ein für die Schau entstandener Inter-viewfilm mit Angela Davis.

In der Video-Performance „Zelle 5“ verarbeitet Gabriele Stötzer ihre Erfahrungen in der Stasi-Haft nach ihrer Beteiligung an der Unterschriftensammlung gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR. Davis hat sich als „Heldin des anderen Amerikas“ übrigens nie für politische Gefangene in den sozialistischen Staaten oder die Freiheitsrechte von 17 Millionen Deutschen interessiert oder gar eingesetzt. Nur einmal entglitt der führenden Hand der Staatssicherheit für einen kurzen Moment das Heft des Handelns, als Davis bei ihrer Tour durch die DDR in Berlin spontan eine junge Frau umarmte und ein Fotograf der Ost-Berliner Neuen Berliner Illustrieren (NBI) auf den Auslöser drückte. Was er und auch Davis nicht wußten, es handelte sich um Erika Havemann, die Schwiegertochter des DDR-Regimekritikers Robert Havemann.

Es gibt Workshops gegen Rassismus

Wie alle Dresdner Museen dem politischen Zeitgeist verpflichtet, wird Davis von den Kuratoren der Staatlichen Kunstsammlung vor allem für ihr einstiges Engagement in der Black-Power-Bewegung und ihr heutiges für „Black Lives Matter“ gewürdigt. Kuratorin Kathleen Reinhardt spricht von einem „Ausstellungsexperiment mit historisch/zeitgenössischen Dokumenten und Kunstwerken“, das Anstoß geben soll, „sich mit Kolonialgeschichte und Alltags-Rassismus auseinanderzusetzten“, weswegen es auch Workshops gegen Rassismus gibt.

„Es ist eine Geschichte von hier, die aber bis heute einen großen Bogen spannt“, sagt SKD-Generaldirektorin Marion Ackermann, die sich geradezu vernarrt in die einstige SED-Ikone Davis zeigt. Es sei ganz bedeutend, das alles in diesem Jahr zu erzählen, „wo wir ja die Black Lives Matter-Bewegung haben und wir zunehmend mit neuen Formen von Rassismus konfrontiert sind“. Davis wurde übrigens in Westdeutschland politisiert. Auf Vermittlung von Herbert Marcuse studierte die aus der Mittelschicht stammende Davis von 1965 bis 1967 in Frankfurt am Main Philosophie und Soziologie, unter anderem bei Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Sie schloß sich dem SDS an und nahm an Protestaktionen gegen den Vietnamkrieg teil.

Folgerichtig trat sie fast ein halbes Jahrhundert später, im Dezember 2013, eine Gastprofessur für internationale Gender- und Diversity-Studies des Cornelia Goethe Centrums an der Universität Frankfurt am Main an. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit versucht sie die Unterdrückung aufgrund des Geschlechts, der Rasse und der Klasse in den USA nachzuweisen.

Die Ausstellung in der Kunsthalle des Lipsiusbaus der Staatlichen Kunstsammlungen ist bis zum 30. Mai zu sehen.

Die Ausstellung „1 Million Rosen für Angela Davis“ ist wieder ab dem 26. März in der Dresdner Kunsthalle im Lipsiusbau, Georg-Treu-Platz , für Besucher geöffnet. Telefon: 03 51 / 49 14 20 00

 https://lipsiusbau.skd.museum/