© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Der nach den jüngsten Landtagswahlen noch verstärkte Eindruck vom Niedergang der Union hat vor allem damit zu tun, daß sie im wesentlichen stets das war, was boshaft, aber zutreffend „Kanzlerwahlverein“ genannt wurde. In der Opposition weiß sie nichts mit sich anzufangen, für irgendeine Sache zu kämpfen oder Widerstand zu leisten, ist ihr unbequem, wenn nicht unbehaglich. Darüber konnte auch der Parteiname nie hinwegtäuschen. Als ihr das erstemal der Machtverlust im Bund drohte, meinte ein Insider, daß genuine Christlichkeit für die Christlich-Demokratische Union keine Rolle spiele. Allerdings war der Verbandskatholizismus beim Aufbau von unschätzbarem Wert. Ansonsten sei die „wichtigste Basis der Unionspolitik … die Integration der pluralistischen Interessen durch die politische Einheit der Partei“ (Rüdiger Altmann) – nicht mehr, nicht weniger.

˜

Die EU-Untersuchung zur Einschätzung des Klimawandels und seiner Folgen durch die Bevölkerung hat angeblich ein überraschendes Ergebnis erbracht: Die junge Generation ist wesentlich weniger „grün“ orientiert als erwartet. Irritieren kann das allerdings nur jene, die die „Friday for Future“-Aufmärsche zum Nennwert genommen haben und nicht für eine legalisierte Form des Schwänzens hielten. Das Durchschnittsgespräch mit dem Nachwuchs oder die aufmerksamere Beobachtung seines täglichen Verhaltens zeigte vor allem: radikale Entschlossenheit, die medial vorgegebenen Floskeln nachzubeten und sich im übrigen an dem zu orientieren, was dem eigenen Komfort dient oder der gesunde Menschenverstand fordert.

˜

Es ist ein Fragebogen vor der ärztlichen Behandlung auszufüllen. Erste Seite: „Nehmen Sie regelmäßig irgendwelche Medikamente?“ Es folgt eine Aufzählung der denkbaren Möglichkeiten – außerdem: „Weiß nicht“. Zweite Seite: „Haben Sie Prothesen aus Metall in Ihrem Körper?“ Es folgt eine Aufzählung der denkbaren Möglichkeiten – außerdem: „Weiß nicht“. Dritte Seite: „Geschlecht?“ Es folgt: „Mann“, „Frau“ – außerdem: „Weiß nicht“.

˜

In ihrem Kommentar zum Interview von Meghan und Harry mit Oprah hat die FAZ-Korrespondentin Gina Thomas darauf hingewiesen, daß Meghans Vergleich zwischen ihrem und dem Schicksal der Kleinen Meerjungfrau offenbar auf der Disney-Version des Märchens beruht: Da bekommt die Nixe ihren Prinzen. Noch etwas erhellender ist die Anmerkung der britischen Bloggerin Kat Rosenfield, daß es in der amerikanischen Populärkultur ein ähnlich verbogenes Cinderella-Motiv gibt. Während im traditionellen Aschenputtel alles damit endet, daß der Prinz das arme Mädchen heimführt, gelingt in der US-Variante die Umerziehung des Prinzen durch das aufgeweckte Girl, das ihn aus den Fängen von Konvention und schädlichen Familienstrukturen befreit.

˜

Hat schon jemand darüber nachgedacht, daß ich bei der Verwendung des Personalpronomens „sie“ (erste Person Plural) unsichtbar bin, nur mitgemeint – und was das mit mir macht?

˜

Im Hinblick auf die Ergebnisse des 13. Integrationsgipfels könnte man rasch zur Tagesordnung übergehen. Allerdings stimmt die Wortwahl der Kanzlerin nachdenklich. Ihre Äußerung „Wir alle sind Deutschland“ ist insofern aufschlußreich, als sie nicht zu sagen wagte, „Wir alle sind Deutsche“ oder gar „Wir alle sind das Volk“, aber sie hat sich auch nicht mit „Wir alle sind die Gesellschaft“ begnügt. Ohne Zweifel war ihr Ziel die Beschwichtigung der anwesenden Repräsentanten der bunten Einwohnerschaft. Daß das erreicht wurde, darf man bezweifeln. Auch hier gilt das eherne Gesetz des Egalitarismus: von der (behaupteten) Diskriminierung zur Gleichheit zur Privilegierung.

˜

In welcher Relation steht eigentlich der von Frau Ferda Ataman –Sprecherin der „Neuen Deutschen Organisationen“ – am Beginn der Pandemie geäußerte Verdacht, daß Menschen mit Migrationshintergrund auf den Intensivstationen im Zweifel keine Atemmaske bekommen würden, zur tatsächlichen ethnischen Zusammensetzung der Corona-Patienten, die in unseren Krankenhäusern behandelt werden?

˜

Beruhigend: Auch Heiko Postel denkt bei „Mutanten“ zuerst an die jugendliche Lektüre von Perry-Rhodan-Heften.

˜

„Ende November des vergangenen Jahres hat der Kabinettsausschuß zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus einen ‘umfangreichen Maßnahmenkatalog’ zur ‘effektiven Prävention und Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus sowie weiteren Phänomenen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit’ beschlossen. Auf den ersten Blick eine gute Idee, schaut man genauer hin, bemerkt man, daß von Linksextremismus, wie er sich zum Beispiel im ‘Bullenklatschen’, Parolen wie ‘All Cops Are Bastards’ und Forderungen, Polizisten auf Mülldeponien zu entsorgen, keine Rede ist.“ (Henryk M. Broder in seiner Welt-Kolumne vom 14. März)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 2. April in der JF-Ausgabe 14/21.