© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Der letzte Schritt
Unsterblichkeit statt Übersterblichkeit: Für Globalisten sind transhumanistische Visionen der Schlußstein einer neuen Ordnung
Felix Dirsch

Nach dem Katastrophen-Schock ist vor dem „Great Reset“. So könnte man die Debatten umschreiben, die seit Monaten über die Post-Corona-Zeit stattfinden. Spätestens seit der Publikation des zündenden Buches von Klaus Schwab und Thierry Malleret über die Zeit danach („Covid-19: Der Große Umbruch“) und die Rede von UN-Generalsekretär António Manuel de Oliveira Guterres im letzten Sommer zum gleichen Thema wird man nicht mehr sagen können, Pläne von Globalisten seien Hirngespinste ihrer nationalistischen Gegner.

Allerdings bemühen sich die beiden einflußreichen Autoren, ihre Konzeption möglichst harmlos aussehen zu lassen. Langatmig wird in dieser programmatischen Schrift der gesellschaftliche, wirtschaftliche, geopolitische, technologische und ökologische Umbruch beschrieben. Der referierende Stil wirkt eher arglos. Wenn etwas den Anschein des Umstrittenen erweckt, ordnen es Schwab und sein Mitverfasser in die Entwicklungen der letzten Jahre ein und konstatieren lediglich eine Beschleunigung seit Anfang letzten Jahres. Nirgendwo erhält der Rezipient Hinweise auf „Riesenschritte“ (Peter Orzechowski) in eine neue Weltordnung.

Nun läßt sich der wahre Kern der Pläne der großen „Zurücksetzung“ aber nur herausfinden, wenn man zentrale Debatten im Umfeld der Corona-Krise, aber auch im Kontext des vor fünf Jahrzehnten in Davos entstandenen Weltwirtschaftsforums (WEF) verfolgt. Dessen Gründer Schwab hat sich vor Jahren in seinem Buch „Die Vierte Industrielle Revolution“ zu den umwälzenden Innovationen der unmittelbaren Gegenwart geäußert. Zudem finden sich auch auf der Netzseite der einflußreichen Organisation wichtige Informationen – allerdings solche zum Transhumanismus eher peripher.

Verstärkte Kontrolle der Bevölkerung  

Die Debatten über den „großen Neustart“ sind vielfältig. Im Kern geht es um eine verstärkte Kontrolle der Bevölkerung durch mächtige Wirtschafts- und Finanzeliten. Tendenzen einer Ent- und Postdemokratisierung werden weiter um sich greifen. Digitale Identitäten, nicht zuletzt im Zuge globaler Impfaktivitäten und des bargeldlosen Zahlungswesens, generieren mehr und mehr das, was den Menschen zukünftig ausmacht. Dessen Wesen wird in steigendem Maße neu bestimmt.

Diese Veränderungen, die wir in den nächsten Jahren verstärkt erleben werden, begründen sich durch größere Sensibilitäten gegenüber einer herausfordernden „Weltrisikogesellschaft“ (Ulrich Beck). Sie bedarf, so eine verbreitete Meinung, einer internationalen Antwort, etwa zur Verhinderung der Proliferation von spaltbarem Material, zur Eindämmung der Erderwärmung sowie als Pandemie-Frühwarnsystem und zur Vorbeugung weiterer Katastrophen. Der Philosoph Nick Bostrom hat in seiner unlängst erschienenen Studie „Die verwundbare Welt“ ältere Arbeiten wie die von Ulrich Beck in dieser Hinsicht auf den neuesten Stand gebracht.

Das Konturen annehmende Szenario einer immer stärker automatisierten, digitalisierten und kontrollierten Welt läßt absehen, was am Ende steht: die tendenziell zunehmende Verbindung von Mensch und Maschine als letzter Baustein der Neuen Weltordnung. Auch im Hinblick auf transhumanistische Visionen läßt sich, wie bei den anderen Elementen des „großen Neustarts“, eine Kontinuität im Umbruch erkennen. Man kann die historischen Linien weit vor die aktuelle Zäsur ziehen.

Schon immer gab es das Bestreben, die humane Spezies mittels „Anthropotechniken“ (Peter Sloterdijk) zu verbessern. Im 19. Jahrhundert war es besonders die Eugenik, die mit biologischen Mitteln die Selektion der Guten vorantreiben wollte. Der Darwinismus ist nicht nur als „Kränkung“ zu verstehen, wie er von Sigmund Freud im Hinblick auf die Relativierung des Menschen als Geschöpf Gottes gedeutet wurde. Vielmehr sahen viele die molekulargenetischen Fortentwicklungen im 20. Jahrhundert als Chance, das Dasein lebenswerter zu gestalten. Der Mißbrauch war allerdings ein ständiger Begleiter derartiger Vorstellungen.

Ab Mitte des vorigen Jahrhunderts nimmt der Diskurs über den Transhumanismus eine Wendung. Parallel zur raschen Effizienzsteigerung von elektronischen Rechnern und Robotern entwickelte man Visionen, die auch das Wesen des Menschen tangieren: nämlich dessen Befreiung von seiner sterblich-biologischen Hülle, die im besten Fall zur Unsterblichkeit führen soll. Der Biologe Julian Huxley entwarf – anders als sein Bruder Aldous – ein optimistisches Bild von der „Schönen neuen Welt“.

Andere Vertreter dieser Strömung, wie der Robotik-Spezialist Hans Moravec und der Physiker Frank J. Tipler, dachten ebenfalls intensiv über Unsterblichkeit durch adäquate Techniknutzung nach. Das Mooresche Gesetz von der Leistungssteigerung von Computern, etwa der Geschwindigkeit der Prozessoren, wirft Fragen über eine vergleichbare etwaige oder: etwa vergleichbare „Verbesserung“ des „alten Adam“ auf. 

Neuartige Wesen mit künstlichem Bewußtsein

Der Diskurs über den Transhumanismus kennt viele Facetten, erst recht nach Einführung des Internets. Der Google-Manager Ray Kurzweil entwirft einen Singularitätspunkt, an dem künstliche Intelligenz die natürliche überholt. Aufsehen erregte auch der Transhumanist und Historiker Yuval N. Harari mit seinem Besteller „Homo Deus“. Er verkündet eine neue „Techno-Religion“. Im Mittelpunkt steht die These, daß der Mensch als informationsverarbeitendes Tier nunmehr obsolet sei und die Fackel an neuartige Wesen weiterzugeben habe, die ein überlegenes künstliches Bewußtsein schaffen. Der Dataismus verkörpere eine siegreiche Art. Mit dem herkömmlichen Menschen dürfte er wenig zu tun haben. Auch bei Harari ist die Reichweite des „Trans“ nur ungenau definiert. Wie omnipräsent diese Richtung in den USA bereits ist, zeigte sich 2014, als der Autor Zoltan Istvan eine „Transhumanistische Partei“ ins Leben rief.

Im Kontext der augenblicklichen Debatten nehmen bereits ältere Kontroversen Züge einer neuen Kollektividentität an. Eine solche Funktion übte lange Zeit das Christentum aus, später vor allem Ideologien und der Nationalstaat. Da der Globalismus als offenkundiger Nachfolger ein sehr abstraktes Gepräge aufweist, eignet er sich nicht so recht als konkret identitätsstiftender Faktor. Immer intelligentere Techniken im Alltag sind die Trumpfkarte der Transhumanisten. Sie wollen den optimierten Neuen Menschen anhand des Arsenals von Genom-Editing, Crispr/Cas, Nanotechnologien, Neurowissenschaften, Nudging und anderen Methoden zusammenschustern. 

Schwab hat zu diesen Auseinandersetzungen nur am Rande etwas beigesteuert. Vor einiger Zeit erinnerte er daran, daß das „Internet der Dinge“ den Körper in eine digitale Plattform verwandle. Bei vielen Zielen, die er und sein Umfeld anstreben, beispielsweise KI in der medizinischen Diagnostik, dem Einsatz von Nano-Bots im Immunsystem und der Remote-Reprogrammierung von Hirn-Prothesen, ist die „Negation der menschlichen Natur“ (Alexander Dugin) zumindest in einem bestimmten Stadium impliziert.

Bereits in den 1940er Jahren registrierte der christliche Schriftsteller Clive S. Lewis die „Abschaffung des Menschen“ als Endziel wichtiger Strömungen der Gegenwart. Er nahm vor allem Repräsentanten des Behaviorismus in den Blick. Das Bestreben einiger, wie „Gott zu werden“, war noch nie so offenkundig wie im Zeitalter fortgeschrittener Technik.