© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Radikale Millennials drehen durch
Linke Kritik am identitätspolitischen Fanatismus: Caroline Fourest geißelt Zensur und Sprachverbote
Björn Harms

Die jüngsten innerdeutschen Debatten um Wolfgang Thierse (noch SPD) oder Fabio De Masi (Linkspartei) machen eines deutlich: Unter Linken regt sich Widerstand. Einige wenige Denker und Politiker begehren auf und trauen sich zaghaft, ihre Stimme gegen den grassierenden identitätspolitischen Wahnsinn in ihrem Lager zu erheben. Daß sowohl Liberale als auch Konservative die postmodernen Irrwege dieser „Neuen Linken“ schon länger verdammen, ist bekannt. Doch besitzt eine fundierte Kritik von links natürlich deutlich mehr Gewicht. In Frankreich sorgte jüngst die Feministin Caroline Fourest mit ihrem nun ins Deutsche übersetzten Buch „Generation beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei“ für hitzige Debatten.

Dabei ist es nicht das erste Mal, daß die Schriftstellerin Unruhe ins linke Milieu bringt. Während ihre harte Abneigung der Rechten gegenüber – so verurteilte ein Gericht die Autorin 2011 zu 3.300 Euro Schadensersatz, weil Teile ihrer Biographie über die „Ressemblement National“-Chefin Marine Le Pen „verleumderisch“ waren – stets auf Begeisterung stieß, sorgten ihre kritischen Veröffentlichungen zum ausufernden Islamismus in Frankreich für ein bisweilen negatives Echo. Neue Freunde in ihrem Milieu wird sich die 45jährige auch mit der jüngsten Veröffentlichung kaum gemacht haben. 

Fourest seziert auf 144 Seiten detailgenau die postmoderne Linke und rechnet mit ihrem identitätspolitischen Fanatismus ab, respektive der Verabsolutierung von Minderheiteninteressen im Sinne eines neuen Antirassismus. Die Schriftstellerin weiß: Wenn im Zeitalter einer ausufernden Globalisierung die größten Sorgen der „progressiven Kräfte“ aus Themen wie „Kultureller Aneignung“, „Blackfacing“, „emotionaler Sicherheit“ oder „weißen Privilegien“ bestehen, dann läuft irgend etwas gewaltig aus dem Ruder. 

Die Autorin benennt das grundlegende Problem in der Diskussion ganz deutlich: Der klassische Antirassismus und der neue Antirassismus agieren als zwei elementar verschiedene Konzepte, die einander widersprechen. Während ersterer auf einem universalistischen Prinzip aufgebaut ist, der keine spezielle Gruppe in den Vordergrund rückt, propagiert letzterer eine besondere Behandlung im Namen der Identität. Gemäß intersektionalistischen Leitlinien sortiert sich ein hierarchischer Opferstatus, der für die einheimische Bevölkerung nicht unbedingt die vordersten Plätze reserviert hat. Nicht umsonst wird einem auch hierzulande immer wieder eingetrichtert: „Rassismus gegen Deutsche gibt es nicht.“

Getragen von einer „nach Radikalität dürstenden studentischen Jugend“, stehe dieser auf Identität basierende Antirassismus nun kurz davor, seinen europäisch-universalistischen Antagonisten auszulöschen, meint Fourest. Die Millennial-Generation beherrsche mit ihren Ansichten weite Teile der antirassistischen Bewegungen und spalte sogar den Feminismus. „Der Einfluß ihrer Netzwerke auf Gewerkschaften, Fakultäten und politische Parteien wird größer“, warnt die Politologin. „Ihre Kabale lasten immer schwerer auf unserem geistigen und künstlerischen Leben.“ Die Konsequenzen daraus sind jedem bekannt: Zensur, Sprachverbote, und „Cancel Culture“. Fourest versteht es grandios, die skurrilsten Beispiele aus Popkultur, Kunstszene oder Politik lebendig zu schildern.

Identitätspolitik geht auf schwarze US-Lesben zurück

Woher aber stammt diese Entwicklung? Die Autorin führt den Urknall der Bewegung auf das Jahr 1977 zurück, als das „Combahee River Collective“, eine schwarze Lesbengruppe in den USA, „in einem seperatistischen Aufruf den Begriff der Identitätspolitik für sich in Anspruch nahm“. In ihrem Manifest wandten sich diese von der klassischen Frauenbewegung ab und verkündeten: „Wir glauben, daß die tiefste und möglicherweise radikalste Politik direkt unserer Identität entspringt und nicht der Aufgabe, der Unterdrückung von jemand anderem ein Ende zu setzen.“ Die Prozesse haben sich seitdem verselbständigt. „Jeden Tag fordert, bedroht und verbeugt sich eine Gruppe, eine Minderheit, eine Person, die als Vertreter einer Sache erzogen wurde, und läßt die Menschen sich davor verbeugen“, schreibt Fourest.

Einst linke Ideale wie Meinungsvielfalt oder Aufgeschlossenheit gegenüber Ideen haben längt die Seiten gewechselt und sind in der postmodernen Linken, die laut Fourest von „Lynchmorden“ und „Meinungsterror“ dominiert wird, nicht mehr aufzufinden. Zähneknirschend muß die Autorin eingestehen, daß die Politische Korrektheit immer mehr jener freiheitsbedrohenden Karikatur entspricht, „die ihre Gegner seit jeher gezeichnet haben“.

Naturgemäß bleibt es bei der Lektüre einer linken Aktivistin nicht aus, sich an einigen Stellen verwundert die Augen zu reiben. Wenn Fourest erklärt, in den USA würde eine „roboterhaft agierende Polizei“ jede Woche Schwarze töten, häufig „aus dem geringsten Anlaß“, wiederholt auch sie damit einen nicht belegbaren Mythos (ein Blick auf die US-Kriminalitätsstatistiken lohnt sich!). Und auch die Feststellung der Autorin, daß fast jeden Monat „weiße Suprematisten“ in Europa Attentate verüben würden, wirkt beim Abgleich mit der Realität reichlich grotesk. Wenig verwunderlich also, daß ihrer Erkenntnis nach  eine Alternative zur Identitätspolitischen Linken nicht aus dem konservativen Lager, sondern nur „von aufrichtigen Antirassisten“ entworfen werden könne.

Nichtsdestotrotz liefert die scharfe Analyse Fourests hochinteressante Einblicke in ein linkes Widerstandsmilieu, das sich aufklärerischen Idealen verpflichtet sieht und noch nicht vollends aufgegeben hat. Gepaart mit den zahlreichen absurden Anekdoten, welche die zensierende Allmacht des „neuen Antirassismus“ eindringlich beschreiben, kann es auch für Nichtlinke nur eine Empfehlung geben: Lesen!

Caroline Fourest: Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Edtion Tiamat, Berlin 2020, broschiert, 200 Seiten, 18 Euro