© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/21 / 19. März 2021

Der Flaneur
Auf „Stadtrundfahrt“
Elke Lau

Corona nervt, wir brauchen Kulissenwechsel und gehen auf „Stadtrundfahrt“. Zuerst zum Finanzamt, Belege für die Steuererklärung einsammeln. Die sind seit Corona provisorisch in einem Abstellraum gelagert. Vor einer Woche hatte ich auf die Außenbeschriftung der unzähligen Kartons vertraut und war mit falschen Formularen nach Hause gekommen.

Heute macht sich eine Angestellte an den Papierbergen zu schaffen. „Da hatte ein Chaot mal wieder Frust und für ein hoffnungsloses Durcheinander gesorgt“, sagt sie genervt und sucht hilfsbereit nach meinen Vordrucken.

Was hat mich derart abgelenkt, daß ich den Diebstahlversuch nicht bemerkt habe?

Weiter geht’s. Begleiter Uli hält an einer grünen Ampel, weil sich aus der Seitenstraße zwei Fahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn nähern. Unser Hintermann hupt wie wild und zeigt uns einen Vogel. Die Rettungswagen passieren, der Niki-Lauda-Verschnitt rast vorbei. Trotz Ãœberholverbots.  

Ehe wir in unsere Behausung zurückkehren, halten wir an einem Supermarkt. Den dürfen wir nur mit Einkaufswagen betreten. Wir schlendern durch die Gänge, kaufen Dinge, die wir nicht unbedingt benötigen, und bleiben unschlüssig vor den Kühlregalen stehen. Ich greife nach einer Packung Stremel-Lachs und suche das Verfallsdatum, als sich ein junges Mädchen dicht an mir vorbeischlängelt. Plötzlich Ulis Warnruf: „Paß auf deine Handtasche auf!“

Verständnislos schaue ich ihn an, dann auf meine Tasche. Von den drei Fächern mit grobem Reißverschluß sind zwei bereits geöffnet. Ich bin schockiert, weniger über den versuchten Diebstahl als über meine Sorglosigkeit.

Vom hinteren Ende der Schlange aus sehen wir später das Mädchen und Komplizin mit einer Packung Puddingpulver den Laden verlassen. Die Nebenkasse ist gesperrt, da wird der Kinderwagen einer jungen Frau gefilzt. Anscheinend erfolgreich dem Lärm nach zu urteilen.

Im Auto fange ich an zu grübeln. Was hat denn meine Aufmerksamkeit derart in Anspruch genommen, daß ich mein Umfeld völlig vergaß? Ach ja, schuld war das Verfallsdatum. Das war nämlich abgelaufen.