© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Die Partei der Parteilosen legt los
Freie Wähler: Die Überraschungssieger von Rheinland-Pfalz haben bundesweite Ambitionen
Ronald Berthold

Es war eine deutliche Ansage. „Jetzt sind wir reif für den Bundestag“, jubelte der Bundesvorsitzende der Freien Wähler (FW), Hubert Aiwanger, nachdem es seine Partei mit Rheinland-Pfalz in den dritten deutschen Landtag geschafft hatte. Gleichzeitig sind die Worte eine Kampfansage an FDP, CDU/CSU und AfD. Denn die Vereinigung spricht konservativ-bürgerliche Wähler an, die zunächst von der Union enttäuscht und nun von radikalen Stimmen in der AfD abgeschreckt worden sind. 

Auch für die FDP, die sich Hoffnung als Auffangbecken dieser Klientel macht, ist Aiwangers Ankündigung besorgniserregend. Bei den vergangenen beiden Bundestagswahlen fuhren die FW nur jeweils 1,0 Prozent ein. Doch das könnte sich ändern. Denn viele Bürgerliche haben ihre politische Heimat verloren. Zuletzt konnte die AfD davon profitieren. Im Rekordtempo zog sie in den Bundestag und alle Länderparlamente ein. Auf einen solchen Effekt setzt der bayerische Fraktionschef Florian Streibl: 

„Die Erfahrungen zeigen, wie schnell sich inzwischen Stimmungen ändern und einen in ein Parlament tragen können“, sagt der Sohn des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl (CSU). Die Wählerwanderung in Rheinland-Pfalz zeigt indes, daß die FW derzeit noch in allen Teichen fischen, mit Ausnahme des der Grünen. Nur 24.000 der 103.500 Wähler hatten die Partei schon vor fünf Jahren gewählt. Der größte Anteil der Zugänge kommt von CDU (20.000) und SPD (17.000). 

Von der FDP holte die Partei 9.000, von der AfD 6.000 Stimmen, von den Grünen nur 2.000. Rund 16.000 FW-Anhänger sind Zugezogene, Erst- und frühere Nichtwähler. Anders als zu Beginn die AfD können die Freien Wähler auf ein bestehendes Fundament bauen, das ihnen schon zuvor bei den Urnengängen in Brandenburg und Bayern zum Überspringen der Fünfprozenthürde verholfen hat. Die Organisation ist seit Jahrzehnten fest in den Kommunen verankert und kann sich von unten nach oben entwickeln. Sie stellt Bürgermeister und Landräte. Einer davon, Joachim Streit, führt nun die neue Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz. 

Als selbsternannte „Partei des gesunden Menschenverstandes“, mit ihrem an traditionellen Werten ausgerichteten Leitbild und der deutlichen, aber im Ton gemäßigten Kritik an der Lockdown-Politik ist sie wie gemacht für verprellte Liberale und Konservative. Besonders erfolgreich war die Partei in Rheinland-Pfalz bei Selbständigen und den Wählern zwischen 35 und 44 Jahren; also denjenigen, die die Corona-Maßnahmen wirtschaftlich am stärksten treffen.

Die breite Aufstellung in den Gemeinden kann allerdings auch ein Nachteil sein. Denn die Freien Wähler speisen sich auch aus lokalen Initiativen mit unterschiedlichen Zielen. Mal geht es gegen Windräder, mal gegen einen Flughafenausbau. Es könnte zur Herausforderung werden, alle Richtungen unter einem Programm für die Bundestagswahl zu vereinigen, um so schlagkräftig zu werden. An der grundsätzlichen Ausrichtung rechts von der Union besteht jedoch kein Zweifel. 

Sogar Teilhabe an der Regierung ist möglich

Das ist nach dem Linksrutsch von CDU und CSU allerdings auch nicht schwierig. Aiwanger als wichtigste Figur im Wahlkampf dürfte deutlich um diese Klientel werben. Der 50jährige gibt sich konservativ, und das Wort des stellvertretenden Ministerpräsidenten Bayerns hat Gewicht. 

Nun hat er angekündigt, als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl kandidieren zu wollen und positioniert sich klar: „Wir sind die bürgerlich-konservative Alternative für Wähler, die gegen Schwarz-Grün, gegen eine Ampelkoalition und erst recht gegen Grün-Rot-Rot sind.“ Die Partei setzt sich für Volksbegehren auf Bundesebene, ein Initiativrecht der Bürger und eine Direktwahl des Bundespräsidenten ein. Aiwangers Plus: Mit einer Stimme für seine Partei kann der Wähler sicher sein, daß diese nicht von vornherein ausgegrenzt wird – wie bei der AfD. Sogar eine Regierungsbeteiligung ist möglich. 

In Bayern sind die Freien Wähler eine Koalition mit der CSU eingegangen. Aiwanger ist auch Wirtschaftsminister. Allerdings müßten die FW für eine solche deutschlandweite Vision zunächst die Sperrklausel überwinden, was wiederum einen Minuspunkt darstellt. Denn dies ist keineswegs ausgemacht. Schon in Rheinland-Pfalz gelang der Einzug mit 5,4 Prozent nur knapp, in Brandenburg waren es 2019 sogar genau 5,0 Prozent. Nach derzeitigem Stand ist ein Erfolg bei der Bundestagswahl unwahrscheinlich. 

Damit wäre unter strategischen Gesichtspunkten ein Votum bürgerlicher Wähler für die FW verschenkt, weil es keinen Einfluß auf die Zusammensetzung des Bundestags haben würde. Da bieten AfD und FDP bessere Argumente. Zudem hat die Wahl in Baden-Württemberg gezeigt, daß ein Erfolg längst kein Selbstläufer ist. Selbst in einem Land, in dem die FW kommunal stark engagiert sind, reichte es nur für 3,0 Prozent. 

Immerhin erzielte die Partei das Ergebnis beinahe aus dem Stand, denn vor fünf Jahren waren es noch 0,1 Prozent gewesen. Hier lamentiert Aiwanger: „Hätten wir mehr Zeit für die Vorbereitung dieser Landtagswahl gehabt, hätten wir auch dort den Einzug schaffen können.“ Daraus will man lernen. Mit voller Kraft geht es in den nächsten Wahlkampf. Am 6. Juni will der FW-Chef in Sachsen-Anhalt ein weiteres Parlament erobern. Von diesem Urnengang hängt sehr viel für die bundespolitische Perspektive ab. Können die FW hier die Fünfprozenthürde nehmen, gäbe das Schwung. 

Denn der Magdeburger Landtag ist der letzte, der vor dem Bundestag gewählt wird. Umgekehrt dürfte ein Mißerfolg viel Zuversicht kosten. Die Zweifel, daß die Freien Wähler am 26. September ins Reichstagsgebäude einziehen, wären dann kaum noch zu zerstreuen.