© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Lederersumpf
Untersuchungsausschuß: Wie der frühere Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hubertus Knabe entlassen wurde, erinnert an ein Drehbuch
Werner Becker

Jeder Satz sei wie „ein Peitschenhieb“, kommentierte einmal ein Zuhörer eine Rede des Stasi-Forschers Hubertus Knabe, der jetzt mehrmals als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuß „Gedenkstätte Hohenschönhausen“ aussagen mußte. Im Stil eines Anklägers konfrontierte der im Herbst 2018 von Kultursenator Klaus Lederer (Linke) seines Amtes enthobene Direktor die Parlamentarier mit der Stasi-Richtlinie 1/76. 

Die Vernichtung seiner 18jährigen Arbeit, die Zerstörung seiner wirtschaftlichen Existenz und die perfide Methode, ihn mit einem schmuddeligen Thema in Verbindung zu bringen, habe ihn an die sieben „bewährten“ Formen der Zersetzung des DDR-Staatssicherheitsdienstes erinnert, eben die „systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes“, die „auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer und diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben“ beruhe. Das hatte gesessen im Saal 113 des Berliner Abgeordnetenhauses.

Ein massiver Vorwurf, doch hat sich nach intensiver einjähriger Ausschußberatung der Verdacht erhärtet, daß Lederer dem unbequemen Historiker übel mitgespielt hat. Angeblich mußte er seinen Schreibtisch wegen eigenen Organisationsverschuldens und sexueller Belästigungen seines Stellvertreters Helmuth Frauendorfer gegenüber Volontärinnen räumen. In Wahrheit handelte es sich um eine politische Intrige des Linken-Politikers und der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU); ein Eindruck, der sich bei der zweiten Anhörung des Kultursenators kürzlich bestätigt hat. So wollte er sich vor dem Untersuchungsausschuß zeitlich nicht festlegen, wann genau er von der Beschwerde einer Volontärin erfahren hat. „Um die Jahreswende 2017/2018“, sagte Lederer. Genauere Angaben verweigerte er. Erinnerungslücken. Was die Opposition verärgerte, denn bei seiner ersten Anhörung im Mai vergangenen Jahres hatte er noch betont, er sei erst im Januar 2018 informiert worden. 

Später hatte ihm seine eigene Frauenbeauftragte widersprochen. Ihr Gespräch mit dem Senator über die Beschwerde datierte sie auf die Weihnachtszeit 2017. Inzwischen ist bei der Staatsanwaltschaft Berlin eine Strafanzeige wegen einer möglichen Falschaussage des Senators eingegangen. Seinerzeit läutete Lederers Verwaltung das berufliche Finale Knabes ein. Mit dem Ziel, die Vorwürfe gegen den Vize dem verhaßten Antikommunisten anzuhängen. Monatelang ließ Lederer prüfen, ob Knabe Volontärinnen zu nahe gekommen sei oder seine Vorgesetztenstellung mißbraucht habe. Doch Fehlanzeige.  

Als sich im Sommer 2018 sechs Mitarbeiterinnen der Stasiopfer-Gedenkstätte bei der Kulturverwaltung über angebliche sexuelle Belästigungen beschwerten, intensivierten die Beamten ihre Nachforschungen. „Strategisch geschickte“ Überlegungen wurden angestellt, „zeitliche Steuerungen“ sorgten dafür, daß dem Aufsichtsorgan Stiftungsrat wichtige Informationen vorenthalten wurden.

Lederers Frauenbeauftragte koordinierte die Aktivitäten des „Frauenzusammenschlusses“, mobilisierte die Frauen, die sich meist gar nicht kannten. Schließlich brachten sie ihre Vorwürfe wunschgemäß zu Papier. Für die Korrespondenz durften sie gar die Dienstanschrift der „Senatsverwaltung für Kultur und Europa“ benutzen. Damit waren ihre Anschuldigungen aktenkundig, das Unternehmen, Knabes Stellvertreter der sexuellen Belästigung zu überführen, nahm Gestalt an. Bei einer Anhörung Anfang August 2018 wird er von Lederer und der Grütters-Vertrauten Maria Bering auf die Anklagebank gesetzt, mit sechs Jahre alten zweideutigen SMS konfrontiert. Da habe die Entlassung seines Mandanten längst festgestanden, ist sich der Rechtsanwalt des Vize-Direktors sicher. Dessen Kündigung wird am 25. September 2020, auf den Tag genau zwei Jahre nach seinem Rauswurf, vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wegen „unangemessenen Verhaltens“ für rechtmäßig erklärt. 

Keine Feststellung traf das Gericht wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung.Wohl auch deshalb, weil die Richter einigen Volontärinnen nicht glauben wollten. So berichtete eine von ihnen in einer SMS an den stellvertretenden Leiter freimütig vom Sex mit „drei Kerlen“, nächtlichen Aufenthalten am Bahnhof Zoo und anderen sexuellen Beziehungen. Frauendorfer ging auf das offenherzige Bekenntnis nicht ein. Das rot-rot-grüne Narrativ von den unbescholtenen, vom übergriffigen Vorgesetzten bedrängten Volontärinnen gerät ins Wanken. Parallel wurde eine Art „Sündenregister“ Knabes angelegt, beginnend mit dessen Amtsantritt 2000. 

Allmählich entstand so ein Drehbuch zu dessen Entlassung, abgestimmt mit dem Bund. Die Schlinge zog sich weiter zu, als der öffentlich-rechtliche Sender RBB die Volontärinnen zu Wort kommen ließ. Die Redakteure sind erstaunlich gut informiert über streng vertrauliche Interna, die Persönlichkeitsrechte tangieren. Auf wundersame Weise gelangt der RBB an den Berichtsentwurf der Rechtsanwältin, die von Lederer als Ermittlerin beauftragt worden war.

Ausschuß will Bericht im Sommer vorlegen

Knabe weiß davon lange Zeit nichts. „Er wurde monatelang nicht über die Vorwürfe gegen seinen Stellvertreter informiert. Kurz vor der entscheidenden Stiftungsratssitzung ist es Lederer dann mit einem Trommelfeuer an Anschuldigungen gelungen, Knabe als den Verantwortlichen für die Verfehlungen seines Stellvertreters zu präsentieren“, ist sich Martin Trefzer sicher, AfD-Sprecher im Ausschuß. Auch 24 Stunden vor seiner Kündigung am 25. September 2018 ahnt der Gedenkstättenchef nichts von seinem bevorstehenden Rauswurf. Im Bundeskanzleramt trifft er während einer Tagung auf Grütters und Bering, die beiden Akteure auf Bundesseite. Eine kühle Begegnung. Ohne Hinweis auf die brisante Stiftungsratssitzung tags darauf. Darin kündigt Lederer Knabe, da ihm der „nötige Kulturwandel“ in der Gedenkstätte nicht zuzutrauen sei. Auch Bering senkt den Daumen, mit Grütters Zustimmung. Bis 11 Uhr am nächsten Tag möge der Ex-Direktor sein Arbeitszimmer räumen, wird ihm noch mitgeteilt.

Etwa drei Jahre später, in diesem Sommer, will der Untersuchungsausschuß seinen Abschlußbericht vorlegen.