© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Alles wieder offen
Comeback für Lula: Brasiliens ehemaliger Präsident könnte Staatschef Jair Bolsonaro das Amt streitig machen
Jörg Sobolewski

Eigentlich läuft es ganz gut für Jair Bolsonaro. Der rechtskonservative Präsident Brasiliens mit einer Vorliebe für harte Worte und ein liberales Waffenrecht gerät zwar immer wieder unter Beschuß für sein eigenwilliges Management der Corona-Pandemie, kann aber ansonsten Erfolge verkünden. 

Vor allem die Landwirtschaft floriert. 122 Millionen Tonnen Weizen hat das südamerikanische Land im vergangenen Jahr exportiert – ein guter zweiter Platz in der weltweiten Rekordliste, zudem wird für dieses Jahr ein Wachstum von 3,1 Prozent erwartet. Eine Untersuchung im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums geht noch weiter. 

Brasilien will USA als größte Agrarmacht überholen

Man plane in den nächsten fünf Jahren die USA als weltgrößte Agrarmacht zu überholen und bis 2050 über 500 Millionen Tonnen Weizen zu exportieren. Mitverantwortlich für die Erfolge sei die unternehmensfreundliche Haltung des Präsidenten, die freilich in Bezug auf den Umgang mit dem Amazonas-Regenwald immer wieder internationale Kritik auf sich zieht. Trotz der vorsichtig optimistischen Stimmung treffen den Präsidenten und sein Umfeld immer wieder Skandale. 

Die drei Söhne des Staatschefs, Flávio, Carlos und Eduardo sind nicht nur Mandatare auf verschiedenen Ebenen der brasilianischen Politik, sie „beraten“ ihren Vater auch im Tagesgeschäft, wie dieser selbst verkündet. Auch Korruptionsvorwürfe zirkulieren um die Familie, seitdem dessen ehemaliger Fahrer Fabrício Queiroz im Zentrum einer Schmiergeldermittlung steht. Bei den Untersuchungen wurden auch ungewöhnliche Geldströme auf Konten der Präsidentengattin verfolgt – sehr zum Unwillen des Präsidenten. Dieser gab in einer internen Krisensitzung vor laufendem Mikrofon einen Kommentar ab, der nach der Meinung vieler Brasilianer verrät, wie ihr Präsident seine politische Arbeit sieht: „Wenn die (die Korruptionsbehörde) meine Familie ficken wollen, werde ich vorher die ficken.“ Die Vorwürfe wiegen um so schwerer, wenn man bedenkt, daß der Kampf gegen die Korruption der linken Vorgängerregierungen das entscheidende Thema bei Bolsonaros Wahl 2018 war.

Damals wurde dem im Volk beliebten Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva nach Korruptionsvorwürfen das Wahlrecht entzogen. Sein Wunschnachfolger Fernando Haddad scheiterte schließlich am Ex-Militär Bolsonaro. Doch seit einer Verkündung von Gilmar Mendes, einem Richter am Obersten Gerichtshof des Landes, ist alles wieder offen. Er entschied, daß die Verurteilung des ehemaligen Präsidenten wegen Geldwäsche unrechtmäßig und daher nichtig sei. Erstmals erwächst Bolsonaro und seiner geschäftstüchtigen Familie somit ein ebenbürtiger Gegner. Zwar muß das Urteil noch von den anderen Richtern am obersten Gerichtshof bestätigt werden, doch fürs erste ist Lula die größte Bedrohung für den angeschlagenen Bolsonaro. Er ist ebenso wie der Präsident in der Lage, die ärmeren Schichten des riesigen Landes zu erreichen, verfügt aber darüber hinaus auch über die politische Rückendeckung von Presse und Zivilgesellschaft. 

Lula ruft Bevölkerung zum Impfen auf

Anders als der Amtsinhaber versucht sich der wiedergeborene Hoffnungsträger vor allem als engagierter Kämpfer gegen das Coronavirus. „Folgt nicht den idiotischen Ratschlägen des Präsidenten – laßt euch impfen“, rief der 75jährige seinen Anhängern nach der Urteilsverkündung zu und profilierte sich damit als Gegner zum in Impfsachen eher zögerlichen Bolsonaro. Wenige Stunden nach der Urteilsverkündung wetterte ein sichtlich erboster Bolsonaro bereits über Lula. Dieser habe „nichts als Lügen“ anzubieten. 

In den aktuellen Umfragen liegt Bolsonaro noch zehn Punkte vor seinem Gegner, doch in der angespannten Lage des Landes ist dieser Abstand gering. Zumal keiner der beiden in den aktuellen Umfragen genügend Stimmen auf sich vereinen könnte, um im ersten Wahlgang zu siegen. Daß noch weitere Skandale im verborgenen liegen, bezweifelt im Lande kaum jemand mehr. Das ist die grausame Lehre, die die Brasilianer aus der Amtszeit des Korruptionsbekämpfers Bolsonaro gezogen haben. 

Foto: Luiz Inácio Lula da Silva: Bolsonaros Kontrahent erhält Rückendeckung von Presse und Zivilgesellschaft