© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Auf dem trockenen sitzen
Streit um die frühere sächsische Kohlegrube Türchau: Polen will weiterbaggern und ignoriert tschechisches Ultimatum
Paul Leonhard

Der Streit um die frühere sächsische Kohlegrube Turow (Türchau) entzweit derzeit die Nachbarländer Polen und Tschechien. Während Polens größter Energieproduzent, die staatliche Polska Grupa Energetyczna, den Braunkohleabbau im Dreiländereck bei Zittau forciert, klagt der tschechische Kreis Reichenberg (Liberec) seit Jahren über den infolge des 25 Kilometer langen Tagebaus absinkenden Grundwasserspiegel. Während Berlin eine Beschwerde der sächsischen Stadt Zittau bei der EU nicht unterstützte und  Polen letztlich gewähren läßt, hat Prag nun vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Warschau geklagt. Anlaß waren die polnischen Ausbaupläne für den mächtigen Tagebau und das benachbarte Kraftwerk. Rückendeckung erhält Tschechien von der EU-Kommission, die Polen vorwirft, Grundsätze der loyalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit verletzt zu haben. Der einseitige Beschluß zur Tagebauerweiterung sei unvereinbar mit europäischen Richtlinien. 

Der Ärger in Prag ist verständlich. Ursprünglich sollte der Braunkohleabbau Turow im März 2020 enden, wurde aber, trotz aller Proteste bis 2044 verlängert. Die Bagger sollen sich nun bis auf 330 Meter in die Tiefe fressen können und zwar in Richtung Böhmen, mit gravierenden Folgen für die dort lebenden Menschen. „Der weitere Betrieb gefährdet unsere Bürger, unser Wasser und unsere Natur“, erklärte der tschechische Umweltminister Richard Brabec. Erste Brunnen in den Grenzdörfern seien bereits versiegt, mindestens 30.000 Menschen betroffen.

Polen wiederum verweist auf die derzeitige Alternativlosigkeit des Braunkohleabbaus im Grenzgebiet. Dieser Winter habe gezeigt, daß „wir noch auf Kohle als Energiequelle angewiesen sind. Solarenergie gab es fast gar keine, und auch die Windkraftanlagen haben kaum Strom geliefert“, sagte Marek Suski, Abgeordneter der rechtskonservativen Regierungspartei PiS, im polnischen Radio. Sollten die EuGH-Richter der tschechischen Forderung nach einem sofortigen Förderstopp nachkommen, dürfte Warschau, das gegenwärtig 70 Prozent der Energie aus Kohlekraftwerken gewinnt auf eine EU-Soforthilfe für seine geplante Energiewende drängen. Die Energiestrategie der polnischen Regierung sieht bis 2040 den Bau von sechs Atomreaktoren an zwei Standorten vor. Die Arbeiten sollen 2026 beginnen. Der erste Reaktor soll 2033 in Betrieb gehen. 

Die für diese Investitionen benötigten 30 Milliarden Euro sollen zum Großteil von der EU kommen. Insofern spielt die tschechische Klage Polen in die Hände, und angesichts der erwarteten EU-Milliarden sind die von Prag geforderten 40 Millionen Euro Entschädigung für die Gefährdung der Trinkwasserversorgung verschmerzbar.