© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Grüße aus Kairo
„Bleibt besser zu Hause“
Konrad Markward Weiß

Die Einschätzung „In Egypt Corona is over, inschallah!“, die im Land der Pharaonen derzeit weit verbreitet ist, bestimmt dort de facto den Alltag. Dieser geht ohne Schließungen und Ausgangssperren seinen Lauf. Nur in Einrichtungen für ausländische Touristen trägt das Personal artig Maske – sichtlich den Fremden zuliebe. Diese aber sind rar, und die sonst mit überlaufensten Baudenkmäler der Welt menschenleer wie wohl zuletzt in Zeiten eines Jean-François Champollion oder Howard Carter. 

Das Fähnlein der Unentwegten aus „Nemsa“ – so der Name Österreichs auf arabisch – schwelgt in dieser einmaligen Exklusivität, kommt aber auch in den Genuß fast exklusiver Aufmerksamkeit der verzweifelten Händler und Bakschisch-Jäger. Flugs ist man dann wieder bei der großen Politik und diskutiert, ob bescheidene Gaben ohne entsprechende Gegenleistung im Kleinen nicht den „Pull-Faktor“ des goldenen Westens verstärken. „Ihr Puller!“, rügt ein Reisekamerad die Mildtätigen unter uns, und wirkt selber in jedem Gespräch mit Einheimischen gemäß seiner Definition als „Pusher“: „Europa ist ein fürchterlicher Ort, bleibt besser zu Hause.“ 

Mit Sinn für die Großfamilie machen sie das Beste aus ihrer oft dürftigen Situation.

Ob das auch für Millionen Ägypter gilt, die ihre ärmlichen Lebensumstände auf dem Land oder die drangvolle Enge in den malerischen Innenstädten aufgegeben haben? Und das zugunsten eines Lebens in halbfertigen und trotzdem schon wieder verfallenden Wohnsilos, die sich durch die 20-Millionen-Metropole Kairo scheinbar endlos dahinziehen. Doch das Alte bedeutet wenig in einem Land, dessen Bevölkerung im Durchschnitt nur knapp halb so alt ist wie jene der Bundesrepublik. 

Dabei war das Alte Ägypten – dessen Götterwelt und Architektur über Tausende Jahre vergleichsweise kaum Veränderungen erfuhren – wohl eine der konservativsten Kulturen der Weltgeschichte. Inmitten der atemberaubenden Zeugnisse vergangener Glanzzeiten und der häufig im umgekehrten Sinne atemberaubenden Hervorbringungen der Moderne machen die heutigen Ägypter das Beste aus ihrer oft dürftigen Situation – mit  Gleichmut, Improvisationsgabe und Sinn für die Großfamilie. Könnte der Westen gemäß der dort weitverbreiteten Überzeugung also von entsprechender Masseneinwanderung profitieren? Womöglich, hauptsächlich aber bei der Lösung von Problemen, die er ohne diese gar nicht hätte.