© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Weniger Geburten, höhere Geldentwertung
Wirtschaftsliteratur: Charles Goodhart und Manoj Pradhan analysieren die große demographische Wende und ihre Auswirkungen auf Inflation und Ungleichheit
Erich Weede

Wie wirkt sich der Alterungsprozeß im Westen und in Ostasien aus? Diese Frage stellen die britischen Ökonomen Charles Goodhart und Manoj Pradhan. Und ihre Prognose lautet: Die Inflationsraten werden in absehbarer Zeit wieder steigen, aber der Trend zu zunehmender Ungleichheit innerhalb der westlichen Gesellschaften werde sich umkehren. Diese Grundgedanken werden gleich im Einführungskapitel auf nur 20 Seiten vorgestellt.

Die vergangenen Jahrzehnte waren im Westen durch niedrige Inflationsraten, sinkende Zinsen und zunehmende Ungleichheit gekennzeichnet. Die Einbeziehung Chinas und die Reintegration Osteuropas haben dem globalen Arbeitsmarkt einen Angebotsschock versetzt. Die Verhandlungsmacht der Arbeiter und Gewerkschaften im Westen wurde durch die Globalisierung geschwächt. Zwar haben sich die Arbeitslöhne in den USA und China angeglichen – von 35 zu 1 im Jahre 2000 auf nur noch 5 zu 1 im Jahr 2018 –, aber in den USA und auch anderswo hat die Einkommensungleichheit zugenommen.

Chinesische Arbeit und Produkte haben zunächst wesentlich zur Verringerung der Inflation im Westen beigetragen. Die hohen chinesischen Sparquoten und Leistungsbilanzüberschüsse leisteten einen wichtigen Beitrag zu niedrigen Zinsen anderswo. Doch durch den Alterungsprozeß im Westen und Ostasien ändert sich die Lage: Goodhart und Pradhan erwarten sich abschwächendes Wirtschaftswachstum, schneller fallende Sparquoten als Investitionsbedarf und damit steigende Zinsen, zunehmende Inflation, aber abnehmende Ungleichheit. Die knapper werdenden Arbeitskräfte werden versuchen, steigende Inflationsraten und Steuerlast in ihre Lohnforderungen einzupreisen. Die Steuerbarkeit der Inflationsrate wird überschätzt.

Zunehmender Widerstand gegen die Globalisierung

Gegen diese Analyse sprechen die japanischen Erfahrungen, wo der Alterungsprozeß früher und schneller als anderswo begonnen hat. Dennoch blieben Zinsen und Inflation in der Nähe von Null, es gibt keine deutlich steigenden Löhne. Das erklären Goodhart und Pradhan damit, daß bis vor kurzem das Arbeitsangebot anderswo in Asien noch sehr hoch war, japanische Firmen verlagerten dorthin ihre Produktion. Die Entlassung der Kernbelegschaft sei in Japan stärker tabuisiert als im Westen. Der Westen werde zwar beim Alterungsprozeß, aber nicht bei den ökonomischen Konsequenzen Japan folgen. Diese Grundgedanken werden in den folgenden acht Kapiteln vertieft, wovon zwei sich mit China und Japan befassen, die anderen mit der demographischen Wende, dem Demenzrisiko, Inflation, Zinsen und Ungleichheit. Goodhart und Pradhan erklären die Inflation nicht primär monetär, sondern letztlich demographisch: Je höher der Anteil der Arbeitsfähigen in der Wirtschaft, desto geringer ist der Inflationsdruck. Wenn die demographische Wende den Westen und große Teile Asiens erfaßt, dann bieten nur noch Indien und vor allem Afrika ein potentiell schnell wachsendes Arbeitsangebot, mit dessen massiver Einbeziehung in die Weltwirtschaft die Autoren wegen institutioneller Mängel, Humankapitaldefiziten, aber auch des zunehmenden Widerstands gegen die Globalisierung nicht rechnen.

Schon Ende 2018 lag die Schuldensumme von Haushalten, Firmen außerhalb des Finanzsektors und Staat in Deutschland bei 169 Prozent, in den USA bei 256 Prozent, in Frankreich bei 300 Prozent und in Japan 398 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wobei sich die Details unterscheiden. Nur dank niedriger Zinsen ist diese Schuldenlast tragfähig – doch Goodhart und Pradhan rechnen mit steigenden Zinsen. Daß man sich fast überall auf Schuldenfinanzierung eingelassen hat, sei ein Mangel unseres Wirtschaftssystems. Dies könne durch Abbau der steuerlichen Privilegierung der Schuldenfinanzierung durch absetzbare Kreditzinsen und die Erschließung neuer Steuerquellen (Boden, CO2-Emissionen) überwunden werden.

Weil sie rechtzeitiges Handeln für unwahrscheinlich halten, erwarten sie Inflation zur Verringerung der Schuldenberge. Die Corona-Pandemie werde diesen Prozeß nur beschleunigen. Das Buch ist mutig, kontrovers und unbedingt empfehlenswert. Ob die Verfasser mit ihren Prognosen richtigliegen, wird man erst in ein oder zwei Jahrzehnten erfahren.






Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie an den Universitäten Köln, Bologna und Bonn. 1998 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft.

Charles Goodhart, Manoj Pradhan: The Great Demographic Reversal. Verlag Palgrave Macmillan, London 2020, gebunden, 260 Seiten, 26,74 Euro