© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Der Acker bleibt sein Grab
Vermißtensuche: Der Bergung eines deutschen Luftwaffensoldaten wird ein Riegel vorgeschoben
Martina Meckelein

Albrecht Risop wurde nur 21 Jahre alt. Der Bordfunker stürzte im März 1942 mit einer Messerschmidt Bf 110 über Südlohn in Westfalen ab. Das Flugzeug liegt mit den Überresten des Gefallenen in einem Acker in vermutlich vier Metern Tiefe. Doch geborgen werden darf der deutsche Soldat nicht. Albrecht Risop bekommt kein Grab.

„Wir haben dafür gekämpft, daß der deutsche Soldat ehrenvoll beigesetzt werden kann“, sagt Uwe Benkel von der Arbeitsgruppe Vermißtenforschung. Er engagiert sich seit 30 Jahren ehrenamtlich dafür, verschollene Flugzeugbesatzungen, unabhängig von ihrer Nationalität, zu bergen, zu identifizieren und beizusetzen. 

Die Absturzstelle geriet in Vergessenheit

Seit drei Jahren versucht Benkel, den Luftwaffensoldaten zu bergen. „Was wir dort in Münster erlebten, ist einmalig in seiner Ignoranz.“

Rückblick: 26. März 1942. Über Westfalen kommt es in dieser sternenklaren Nacht zum Luftkampf zwischen Deutschen und Briten. Leutnant Wilhelm Jonen steuert die Me 110, hinter ihm sitzt sein Bordfunker, der Obergefreite Albrecht Risop (21). Die Maschine gilt als ausgezeichneter Nachtjäger. Die Besatzung ist ein eingespieltes Team. Einen feindlichen englischen Bomber können sie abschießen. 

Doch plötzlich werden sie selbst zum Ziel, das Flugzeug getroffen. Jonen kann sich schwerverletzt mit dem Fallschirm retten, doch sein Kamerad Risop ist tödlich getroffen, stürzt mit der brennenden Maschine ab. Die Me 110 rast in die Tiefe und versinkt metertief in Schwemmsand. Jonen, er starb 2002, hat später ein Buch veröffentlicht: „Luftkampf über den Sternen“, in dem er seines Kameraden Risop gedenkt. Die Eltern des gefallenen Soldaten Risop stimmen nach anfänglichen Bedenken zu, ihren einzigen Sohn nicht bergen zu lassen. Vielleicht hofften sie darauf, daß sie ihm nach Beendigung des Krieges ein Grab schenken könnten. Doch dazu kommt es nicht mehr. Beide nehmen sich kurz vor Ende des Krieges das Leben.

Die Münsterland-Zeitung hat folgendes recherchiert: „Schon 1942 beschwerte sich der damalige stellvertretende Bürgermeister Eugen Cohausz, daß der Tote nicht geborgen wurde. Im Gemeindearchiv ist seine Beschwerde an den Fliegerhorst in Münster-Handorf erhalten. Dort war Risop stationiert: Der stellvertretende Bürgermeister der Gemeinde Südlohn, Eugen Cohausz, teilte der Dienststelle des Gefallenen demnach mit, ‘daß die Bevölkerung ungehalten darüber ist, daß zur Zeit keine Möglichkeit bestehe, den gefallenen Helden Obergefreiter Risop zu bergen’. Er würde es begrüßen, wenn der Tote überführt würde, damit nicht der Volksmund sage, ‘daß unsere Besten in der Heimat vergessen werden’. Während des Krieges war jedoch keine Bergung möglich.“

 Die Absturzstelle gerät in all den Jahren in Vergessenheit. Wiederentdeckt wurde sie 2016, als Schutzrohre für Stromleitungen verlegt werden sollten. Ältere Anwohner erinnerten sich wieder an den Absturz. Kurz danach gab es den ersten Antrag auf Bergung – erfolglos. Uwe Benkel wurde informiert. „Ich nahm Kontakt zur Familie auf, ein Neffe lebt noch. Zum Bauern, dem das Feld gehört, zu Behörden. Es war offensichtlich, daß die Behörden mauerten. Dabei wurden US-amerikanische gefallene Soldaten, die nur ein paar Kilometer weiter entdeckt wurden, anstandslos geborgen und auf dem Friedhof bestattet.“

Die JUNGE FREIHEIT fragte bei der zuständigen Behörde, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) nach. Die Stellungnahme des Denkmalpflegers Christoph Grünewald: „Das Flugzeugwrack ist aus unserer Sicht ein Bodendenkmal. Es kann jetzt und in der Zukunft das Grauen des Krieges anschaulich verdeutlichen. Das ist um so wichtiger, als es kaum noch Zeitzeugen gibt, die von dem Geschehen berichten können. Diese Wirkung kann nur das Original an der originalen Stelle bewirken.“

 Es ist immerhin zu fragen, wie ein Flugzeugwrack, das niemand sieht, dessen Typ aber über 5.000mal gebaut worden ist, dessen verschiedene Modell-Varianten noch heute in Museen zu bestaunen sind, gegen den Krieg mahnen soll? Zumal noch die Überreste eines Menschen dort liegen. 

Der LWL-Denkmalpfleger Grünewald hält den Acker, an dessen Rand  ein Steinkreuz, flankiert von zwei Rhododendren steht, für „einen würdevollen Bestattungsort.“ Perfide wird die Stellungnahme des LWL-Denkmalamtes dann, wenn sie behaupten: „Dies war auch die Überzeugung der Eltern von Albrecht Risop, die sich bei einem Besuch der Absturzstelle gegen eine Bergung ausgesprochen haben. Auch sie waren gegen die Störung der Totenruhe.“ Wie oben beschrieben wollten die Eltern dies eigentlich nicht. Übrigens: Auf die Frage, warum die US-Amerikaner geborgen wurden, gab es keine Antwort.

„Es geht um Paragraphen, nicht um Gerechtigkeit“

Benkel zog vor das Verwaltungsgericht. Am 18. März begann in Münster das Verfahren. Der Vorsitzende Richter Michael Middeke hatte in der mündlichen Verhandlung signalisiert, so die Deutsche Presse-Agentur, daß er der Klage der Arbeitsgruppe Vermißtenforschung wohl keine Chance einräumt. Der Bereich bei Südlohn sei als Bodendenkmal eingetragen und das abgeschossene Flugzeug und die Überreste des Risops gehörten nach Meinung des Gerichts zwingend zusammen. „Die Absturzstelle ist bedeutend für die Geschichte der Menschen in der Region“, sagte Middeke.

„Ich bin hin und wußte genau, was kommt. Beim Verwaltungsgericht geht es nur um Paragraphen, nicht um Menschlichkeit. Man sieht, der Dank des Vaterlandes ist einem gewiß, und dann wird der arme Kerl noch wie Dreck behandelt, traurig. Wir sind in Deutschland auf der untersten Stufe angelangt.“ Aber Benkel gibt nicht auf. „Ich kämpfe weiter für den jungen Soldaten.“