© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Literaturhistorischer Alarm in Weimar
Läppisches zu Heinrich von Kleist
(wm)

Warum der Spiegel (Ausgabe vom 10. März 2021) urplötzlich im pöbelhaftesten Boulevardstil titelt „Berühmter Dichter als Haßprediger: Die dunklen Seiten des Heinrich von Kleist“ erscheint zunächst rätselhaft. Zumal Johannes Saltzwedel, der Verfasser dieses läppischen Artikels, keine sensationell neuen „Enthüllungen“ über einen der sprachmächtigsten Dichter mitzuteilen weiß, den die deutsche Literaturgeschichte kennt. Statt dessen liefert er nur öden Zitatensalat aus Kleists seit Generationen zur Schullektüre gehörender Publizistik, die mit guten Gründen seine preußischen Landsleute gegen die französische Besatzungsmacht zum Befreiungskrieg aufrief. Schaut man aber auf eine andere läppische Notiz zu Kleist, veröffentlicht in der FAZ am 3. März, zeichnen sich Konturen eines Haberfeldtreibens im Stil der Cancel Culture ab, die sich nun gegen einen weiteren, dezidiert patriotischen Exponenten der deutschen Geistesgeschichte wendet. Aufgemacht als Mischung von Hetzplakat und Fahndungsaufruf („Hier, er heißt: Heinrich von Kleist“), so zetert dort der Literaturwissenschaftler Marcel Lepper, seit 2020 Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar, nunmehr sei hieb- und stichfest nachgewiesen, Kleist war anwesend, als sich 1811 die „Frauen und Juden“ den Zugang verwehrende „Christlich-deutsche Tischgesellschaft“ konstituierte. Dank der vom Weimarer Archiv kürzlich erworbenen Sitzungsprotokolle dieser mit „antisemitischen Schwadronagen“ auftrumpfenden „Berliner Männergesellschaft“ habe die „Kritische Weißseins“-Forschung nun viel zu tun, um das Material gendergerecht aufzuarbeiten. 


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