© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Zensurfreien Austausch bieten
Holpriger Start: Das polnische Netzwerk Albicla möchte eine Alternative zu Facebook & Co. aufbauen
Christian Schreiber

Die Sperrung der Social-Media-Konten des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump hat Auswirkungen bis nach Polen. Dort wurde ein neues Online-Projekt mit dem übersetzten Namen „Laßt alles klar sein“ gestartet, um ein Gegengewicht zu Facebook und Twitter aufzubauen. Ins Leben gerufen wurde „Albicla“ vom Chefredakteur der konservativen Zeitung Gazeta Polska, Tomasz Sakiewicz. Er erklärt, daß Albicla eine Abkürzung des Ausdrucks „Let All Be Clear“ sei. Jeder solle im Zuge eines „zensurfreien Austauschs von Gedanken, Ideen und Meinungen“ alles sagen dürfen. Lediglich vulgäre, kinderpornographische sowie Inhalte mit Spam-Charakter würden entfernt. „Allgemein habe ich empfohlen, daß man so liberal wie möglich vorgeht. Wenn etwas grenzwertig oder zweifelhaft ist, dann soll man es eben stehen lassen“, sagte Sakiewicz im Gespräch mit der Deutschen Welle. 

Doch der Start des sozialen Netzwerks Anfang des Jahres verlief holprig. Es wimmelte von Fake-Accounts, der Chefredakteur des oppositionsnahen Portals Onet wurde gesperrt. „Anlaufschwierigkeiten und Attacken krimineller Hacker“ macht Sakiewicz dafür verantwortlich. Tatsächlich gab es einen Angriff, bei dem Hacker Logos durch Regenbogenflaggen ersetzten.

Kritiker sehen Nähe zur PiS-Partei

Das Vorhaben, eine Art „Gegen-Facebook“ zu schaffen, ist ambitioniert. Der Internet-Dominator Facebook hat im 38 Millionen Einwohner zählenden Polen einen Marktanteil von 92 Prozent unter den Internetnutzern. Bei Albicla wurden bis Ende der vergangenen Woche lediglich knapp 100.000 Konten registriert. Und die scheinen einige Sicherheitslücken aufzuweisen. So behauptete ein Nutzer, daß er an die Daten von Zehntausend Albicla-Konten gelangt war. Ein anderer gab an, sich als Administrator der Seite ausgeben und vom offiziellen Albicla-Konto posten zu können. Andere verkündeten, Zugriff auf E-Mail- und IP-Adressen gehabt zu haben, die zur Einrichtung von Profilen benutzt worden waren. Sakiewicz macht feindliche Kräfte für diese Aktionen verantwortlich. Auf Twitter bestritt er, daß es Daten-Lecks gegeben hätte, und bezeichnete die Enthüllung der Mängel als „Lüge“.

Um die Hintergründe zu verstehen, muß man die Gemengelage in Polen beachten. Die nationalkonservative Regierung sieht sich harten Angriffen der Opposition und von westlichen Medien ausgesetzt. Das neue Projekt sei ein Propagandainstrument der Regierung, sagen Kritiker. „Unsinn“, kontern die Macher. Auf albicla.com könne „jeder alles schreiben“. Gewisse Überschneidungen zur Regierungspartei „PiS“ (Für Recht und Gerechtigkeit) werden allerdings besonders bemängelt. An der Betreibergesellschaft Słowo Niezależne („Unabhängiges Wort“) ist mit Srebrna auch ein Unternehmen aus dem PiS-Umfeld beteiligt. Die Partei hatte Trumps Online-Verbannung mit ungewöhnlich harschen Worten kritisiert. Premier Mateusz Morawiecki äußerte sich auf Twitter deutlich, und PiS-Chef Jaroslaw Kaczyński, den viele Beobachter als wahren Machthaber Polens sehen, versprach, die Redefreiheit gegen die großen Tech-Konzerne zu verteidigen. „Wir haben wachsende ökonomische und technische Möglichkeiten“, sagte er im polnischen Fernsehen: „Es geht nur um Entschlußkraft.“

Die stärkste Partei des Landes hatte bereits vor Jahren erklärt, die Medien müßten wieder polnischer werden. Dafür wurden Sondersteuern und Kapitalobergrenzen eingeführt. Nachdem 2020 der staatlich kontrollierte Ölkonzern „Orlen“ die Regionalzeitungsgruppe „Polska Press“ der deutschen Verlagsgruppe Passau abkaufte, folgte umgehend das Lob der Politik. PiS-Chef Kaczyński sagte, es sei „eine der besten Nachrichten der letzten Jahre“. Die Übernahme von Medien, besonders durch „Deutsche“, habe Polen Souveränität gekostet.

Antideutsche Ressentiments sind in Polen nicht selten, und sie finden sich auch auf Albicla. „Da kann man über einen anderen Menschen absolut alles sagen, aber unter einer Bedingung: Hauptsache, man benutzt Großbuchstaben beim Siezen“, erklärt Onet-Chefredakteur Bartosz Węglarczyk zynisch. „Wenn man jemanden als ‘Volksdeutschen’ beschimpft, ist das okay, solange man das ‘Sie’ nur großschreibt.“ Der Begriff Volksdeutsche dient in Polen als eine Art Schimpfwort für NS-Kollaborateure. 

Albicla verzichtet bislang auf moderierte Diskussionen. Die Regierung erklärt, sie würde für einen offenen Diskurs kämpfen und wittert ausländische Einmischung. Die Opposition und die ihr nahestehenden Medien glauben dagegen, das Projekt sei nur ein weiterer Versuch der PiS, die Meinungsführerschaft weiter auszubauen.