© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

„Wir zocken mit Politikern“
Twitch: Die deutschen Parteien entdecken im Superwahljahr die bei Gamern beliebte Streamingplattform
Gil Barkei

Soziale Medien und ihre Bewegtbild­angebote sind längst zu gefragten Kanälen bei der Informationsbeschaffung geworden (JF 11/21). Ein beliebtes Netzwerk hinkt dabei Facebook, Instagram und TikTok bislang hinterher: Twitch. Doch die Livestreaming-Plattform, die besonders bei Gamern hoch im Kurs steht, öffnet sich zunehmend für andere Themenfelder. So können die Nutzer mittlerweile Musikern beim Komponieren oder Finanzinteressierten beim Investieren zuschauen – und sie können mit Politikern beim Präsentieren  von Positionen interagieren. 

Als eine der ersten nutzte die linke US-Kongreßabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (Demokraten) das Portal breitenwirksam, um die zumeist jungen Nutzer gezielt zu erreichen. Im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfes spielte sie zusammen mit mehreren Parteikollegen wie Ilhan Omar das Videospiel „Among us“. Mehr als 400.000 Zuschauer verfolgten live, wie Ocasio-Cortez scheinbar nebenbei die potentiellen Wähler ansprach und unter anderen dazu aufforderte „wählen zu gehen“. Innerhalb weniger Wochen sammelte die New Yorkerin über 550.000 Follower.

Im Wahljahr 2021 entdeckt auch die deutsche Politik Twitch für das Ringen um Sympathien und Stimmen. Nutzte der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken sein Profil hauptsächlich noch, um über den Brüsseler Alltag zu berichten, so geraten nun konkrete Wahlkampfkonzepte in den Fokus. Zu Jahresbeginn diskutierte die CDU, wie man die zu Amazon gehörende Plattform einbinden könnte. Den Anfang machte der Bundestagsabgeordnete ­Maik Beermann. Seine ersten Streaming-Tests waren allerdings mäßig erfolgreich. So folgen dem „Bundesgamer“ bisher lediglich 112 Personen. Zum Vergleich: Der erfolgreichste deutsche Twitch-Kanal MontanaBlack88 (JF 33/19) hat 3.540.000 Follower. 

Die saarländische Union-Stiftung möchte das Potential allerdings weiterhin ausloten und unter dem Titel „Wir zocken mit Politikern“ vor allem „Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Dialog mit Politikerinnen und Politikern ermöglichen“, wie der Stiftungsvorsitzende, Hans-Georg Warken, gegenüber den lokalen Nachrichtenseiten sol.de betont.

Zur Premiere der Reihe setzte sich Ende Februar Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) hinter das virtuelle Steuer von „Mario Kart“. Doch im Vergleich zu den amerikanischen Vorbildern wirkt das neuartige Computerspiele-Engagement derart steif und aufgesetzt, daß es förmlich danach schreit, von jungen rechten Politikern und Aktivisten besser gemacht zu werden.