© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Als Atommacht kurzzeitig ausgeschaltet
Am 30. März 1981 wurde ein Attentat auf US-Präsident Ronald Reagan verübt / Versagen des Secret Service
Jürgen W. Schmidt

Der „United States Secret Service“ wurde 1865 geschaffen und gehört zur Vielzahl amerikanischer Geheimdienste. Seine beiden Hauptaufgaben bestehen in der Bekämpfung von Finanzkriminalität und der Gestellung des Personenschutzes für den amtierenden US-Präsidenten, den Vizepräsidenten sowie die ehemaligen Präsidenten und ihre Familien. Dazu stehen dem Dienst rund 6.500 gut ausgebildete Mitarbeiter zur Verfügung. Der Secret Service wurde nach der Ermordung von Präsident John F. Kennedy im November 1963 massiv kritisiert und unterlag bedeutenden Reformen, um seine Wirksamkeit zu verbessern. 

Trotzdem konnte der Secret Service nicht verhindern, daß am 30. März 1981 beinahe erneut ein amerikanischer Präsident ermordet wurde. Der 25jährige Attentäter John Hinckley Jr. erwies sich im Laufe der späteren Untersuchungen als Psychopath, und er handelte nicht aus politischen Motiven. Hinckley feuerte um 14.27 Uhr vor dem Hilton-Hotel in Washington, D.C. aus einer Pistole sechs Schuß auf Präsident Reagan ab, als dieser umringt von Leibwächtern nach einem Auftritt vor Gewerkschaftsvertretern vom Hoteleingang auf dem Weg zu seiner Limousine war. Der Pressesprecher des Präsidenten James Brady erlitt dadurch dauerhafte Körperschäden und sitzt seitdem gelähmt im Rollstuhl. Auch ein Polizeibeamter und ein Beamter des Secret Service wurden verletzt. 

Irritationen über die Vertretung des Präsidenten

Erst Minuten nach dem Attentat bemerkte ein aufmerksamer Secret-Service-Beamter, daß auch Präsident Reagan Verletzungen davongetragen hatte. Ein Geschoß war von der gepanzerten Präsidentenlimousine abgeprallt und Reagan erlitt dabei einen Lungendurchschuß mit inneren Blutungen. Nur durch eine Notoperation konnte der Präsident gerettet werden. Präsident Reagan bewies bis zuletzt große Fassung und scherzte noch kurz vor der Operation mit den behandelnden Ärzten: „Bitte sagen Sie mir, daß Sie alle Republikaner sind.“  

Das Attentat offenbarte erhebliche Sicherheitslücken, welche indessen erst lange Zeit später öffentlich ruchbar wurden. Im Weißen Haus herrschte nach dem Attentat nämlich ganz erhebliche Konfusion wegen der Frage der Vertretung des Präsidenten. Außenminister Alexander Haig verkündete deshalb an Stelle des nicht greifbaren Vizepräsidenten: „Ich übe hier die Kontrolle aus“, was den dadurch völlig überraschten US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger sichtlich konsternierte. 

Noch schlimmer war der Umstand, daß erst einen Tag nach dem Attentat einige Secret-Service-Beamte die blutbefleckte Kleidung des Präsidenten sichteten und dabei im Jackett eine seltsame, einer Kreditkarte ähnelnde Plastikkarte entdeckten, welche mit Stanzlöchern versehen war. Es handelte sich um die Kennkarte, mit welcher der Präsident sein Atomwaffenarsenal aktivieren kann. Diese Kennkarte gibt es nur in einem Exemplar und sie muß dazu in den „Football“, den „Atomkoffer“ eingeführt werden, welchen ein Offizier ständig dem Präsidenten nachträgt. Eine Zeit lang war jene Zugriffskarte vermißt und die USA folglich atomar nicht handlungsfähig, und das während des seit dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 wieder angefachten „Kalten Krieges“.

Reagan erholte sich nach der Operation überraschend schnell und konnte bereits 26 Tage nach dem Attentat seine nächste Kabinettssitzung leiten. Dem Attentäter John Hinckley wurde wegen seiner Geisteskrankheit kein Prozeß gemacht, und man beorderte ihn nur in eine Nervenklinik zwecks Sicherheitsverwahrung. Im Jahr 2016 wurde Hinckley schließlich aus der Heilanstalt entlassen.