© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/21 / 26. März 2021

Impfstoff zum Selbermachen
Antigen-Forscher Winfried Stöcker erhebt in der JF schwere Vorwürfe gegen Politik und Bürokratie: „Sie wollen etablierte Firmen in Schutz nehmen“
Mathias Pellack

Wer den Lübecker Professor für Labormedizin, Immunforscher und Gründer der milliardenschweren und weltweit aktiven Biotechnologie-Firma Euroimmun Winfried Stöcker nicht mag, der findet genug Anlaß, sich an seinen Aussagen zu reiben. 2014 sagte er, er wolle Flüchtlinge „am liebsten in ihre Heimat zurückschicken“, sie hätten „kein Recht, sich in Deutschland aufzuhalten“. Er rief dann zum Sturz von Kanzlerin Angela Merkel auf. Später erklärte er, das Wort „Neger“ sei für ihn kein negativer Begriff. Vorgeworfen wurde ihm auch seine Kritik an der MeToo-Bewegung. 

Auf dem Gebiet der Immunantworten und Antigene ist er nach 30 Jahren Forschung unbestritten eine Größe. Seine 1987 gegründete Firma Euroimmun hat er 2017 für 1,2 Milliarden Euro verkauft. Grundlage des Unternehmenserfolgs sind von Stöcker patentierte Technologien. Dieser Stöcker sorgte im März 2020 wieder für Aufsehen: Er hatte sich und vier weitere Personen mit einem selbst hergestellten Corona-Vakzin geimpft, das er ohne Patent zur freien Verfügung stellen will. 

Heute erhebt er in der JUNGEN FREIHEIT schwere Vorwürfe gegen Behörden und Politik, die die Verbreitung seines Impfstoffs behindern oder zumindest nicht sinnvoll befördern. „Sie wollen etablierte Firmen mit bereits zugelassenen Impfstoffen in Schutz nehmen. Ob sie dafür Geld bekommen, weiß ich nicht. Mindestens sind sie nicht in der Lage, den Wert einer Impfung mit dem höchsten Potential einzuschätzen. Sie haben nur dumme Paragraphen im Auge, weiter reicht ihr Verstand nicht. Und so etwas leisten wir uns“, klagt der gebürtige Oberlausitzer.

Gespräch mit dem Paul-Ehrlich-Institut blieb aus

Wie kam es soweit? Die Wirksamkeit seiner Selbstimpfung hatte Stöcker vor seinem Gang zur Presse vom Vorzeigevirologen, Professor Christian Drosten, an der Charité und dem Corona-Berater von Nordrhein-Westfalens Regierung, Professor Hendrik Streek, überprüfen lassen. Beide bescheinigten:  Stöcker habe Immunkörper gegen Sars-CoV-2 gebildet. Der Impfstoff wirkt. 

Der Unternehmer erklärte, er wolle seinen Impfstoff patentfrei anbieten. Und dank der äußerst simplen Rezeptur – es kommt lediglich ein spezifisches Peptid-Antigen, also ein leicht im Bioreaktor herstellbares Eiweißbruchstück und ein seit Jahrzehnten erprobter Hilfsstoff (Adjuvans), der die Wirkung des Antigens verbessert, zum Einsatz – könne man damit, so sagt der Euroimmun-Gründer, innerhalb von einem halben Jahr einen Großteil der Bevölkerung Deutschlands impfen. Doch nichts passiert.

Ein halbes Jahr vergeht und Stöcker wendet sich im September direkt an den Präsidenten des Paul-Ehrlich Instituts (PEI), Klaus Cichutek. Was dann geschieht, müssen wohl Gerichte klären. Das PEI gibt an, Stöcker telefonisch Unterstützung bei der Zulassung angeboten zu haben. Stöcker hingegen sagt der jungen freiheit, das Institut habe nur gemauert. Es habe mit einer möglichen Klage gedroht – die, soviel vorab, jetzt von der Staatsanwaltschaft Lübeck untersucht wird – und es habe angeboten, in einem weiteren Telefontermin Fragen hinsichtlich der Zulassung abzuklären. Dieses zweite Gespräch kam aber laut beiden Seiten nicht zustande.

Wieder vergehen Monate. Die zweite Corona-Welle läuft an. Die Politik entscheidet sich abermals für die Notlösung: Lockdown. Erste Impfungen werden nach Weihnachten zugelassen. Etwa 65.000 Menschen werden allein in Deutschland den Winter wegen der grassierenden Corona-Pandemie nicht überleben, obwohl es Impfstoffe gibt. Glaubt man Stöcker, wären die meisten Opfer sowie die Lockdown-Schäden vermeidbar gewesen.

Es ist Januar. Stöcker wendet sich abermals an das PEI. Fragt, was aus dem Angebot geworden sei. Das dem Bundesgesundheitsministerium beigeordnete Institut antwortet; Stöcker nennt die Antwort „versucht konstruktiv“. In der Mail, die der jungen freiheit vorliegt, entschuldigt sich das PEI: „Uns hat leider nun erst Ihre Anfrage erreicht.“ Das PEI erklärt sich mit allgemeinen Hinweisen, an welche Mailadresse sich Entwickler wie Stöcker zu wenden haben, wie die Beratung generell ablaufe und welche Informationen er einsenden müsse, damit die richtigen Experten des hauseigenen Innovationsbüros hinzugezogen werden könnten. 

Auf Anfrage der JF, welches Angebot das PEI gemacht hat, schreibt es vage, daß es „aktiv geworden ist, um ihn zu unterstützen, er das Angebot bisher aber nicht angenommen hat“. Es weist darauf hin, daß bei klinischen Prüfungen nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch Verträglichkeit und Sicherheit der Impfstoffe in Frage stünden. „Das gilt um so mehr für Impfstoffe, denn diese werden gesunden Menschen verabreicht.“

Stöcker blieb indes nicht untätig. Er versichert: „Meine Impfung ist die sicherste!“ Die einfache Rezeptur und das altbekannte Adjuvans machen das plausibel. Er habe bereits etwa 100 Personen seinen Lübecker-Impfstoff verabreicht. Es gehe allen Patienten gut. Etwa zehn Prozent hätten lediglich eine schwache Impfreaktion gezeigt, wie es bei der Rezeotur zu erwarten war. Weit weniger als bei Biontech oder Moderna. 

Weiterer freier Impfstoff scheitert an Zulassung

Warum also wird Stöckers Impfstoff nicht als Chance begriffen, die Pandemie zu besiegen? Zur Aufklärung dieser Frage kann ein finnischer Impfstoff beitragen. Dort hat ein Team um den Professor und Leiter der Abteilung für Virologie an der Universität von Helsinki, Kalle Saksela, im Mai 2020 einen hochwirksamen aber patentfreien Impfstoff zur Zulassung bringen wollen, wie der finnische öffentlich-rechtliche Rundfunk YLE berichtete. Die Rezeptur ist etwas komplexer als die Lübecker-Impfung, doch auch hier gilt, für die Produktion eines patentfreien Impfstoffs ließen sich viele ungenutzte Fabriken einspannen. Das fertige Produkt wäre schnell und billig zu produzieren, aber – da frei herzustellen – kaum profitabel.

Auch die Finnen traten in der Hoffnung auf Unterstützung an den Staat und die Zulassungsbehörden heran. Diese wiegelten ab. Man solle sich Risiko-Kapitalgeber suchen, die die teuren klinischen Studien bezahlen. Bis 2003 hatte das Land einen eigenes Impfstoffprogramm. Saksela hofft weiter, das Geld auftreiben zu können, wenngleich er im Magazin Jacobin resigniert klingt: „Im Frühling letzten Jahres dachte ich noch, daß sich sicher irgendeine öffentliche Einrichtung einschalten und das Vorhaben vorantreiben würde. Doch anscheinend ist keine Situation dringlich genug, um den Staat dazu zu bewegen, sich einer solchen Sache anzunehmen.“ Profitinteressen stehen auch hier günstigen und schnell verfügbaren Alternativen im Weg.

Die Staatsanwaltschaft Lübeck erklärte der JF unterdessen, sie ermittle „wegen des Anfangsverdachts von Straftaten nach §§ 95 und 96 des Arzneimittelgesetzes“. Stöcker erwidert: „Ich habe in meiner Eigenschaft als Arzt mich selbst und mehrere Personen legal geimpft, dazu bin ich berechtigt, solange ich keinen Impfstoff in Verkehr bringe, dazu gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts.“





Impf-Rezept „Lübecker Art“

Das Antigen: Stöckers Antigen können sich Wissenschaftler und Ärzte zu Forschungszwecken bei Anbietern wie Creative-Biomart oder Hölzel-Biotech bestellen. Dazu ist eine Anfrage nach einer veränderten Variante der rekombinanten rezeptorbindenden Domäne der Spike-Protein-S1-Untereinheit nötig (Abschnitt Arg319-Phe541). Die von Stöcker verwendeten Änderungen K417N, N439K, E484K und N501Y verbessern die Wirksamkeit gegen grassierende Mutationen. Das Antigen wird in gefriergetrocknetem Zustand bei Raumtemperatur versendet und dann bei 4°C im Kühlschrank aufbewahrt. Stöcker nutzte für jede der drei Impfungen 15 Mikrogramm. 

Das Adjuvans: Stöcker verwendete Alhydrogel von InvivoGen, das auf der firmeneigenen Webseite zu Forschungszwecken erworben werden kann.

 www.creativebiomart.net 

 www.hoelzel-biotech.com

 www.invivogen.com