© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/21 / 02. April 2021

An der Macht schnuppern
Schweden: Die Konservativen liebäugeln mit einer Kooperation mit den gehäuteten rechten Schwedendemokraten
Christoph Arndt

Nicht nur die Corona-Pandemie zehrt an den Nerven politischer Akteure. Auch neue Koalitionsoptionen sorgen für den Verlust der Contenance bei manchem Politiker. So geschehen in Schweden, wo der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven in einem TV-Interview am 17. März davor warnte, daß ein Regierungswechsel die Demokratie in Schweden bedrohe und ungarische Verhältnisse bei einer konservativen Regierung bevorstünden.

Löfven wurde dafür scharf angegangen. Der Vorsitzende der Schwedendemokraten (SD), Jimmie Åkesson, verglich Löfven mit Donald Trump. Martin Borg, Kommunikationschef der konservativen Moderaterna (M), konstatierte, daß ein Infragestellen der demokratischen Legititmität der Opposition normalerweise von Despoten betrieben würde. Löfvens Auftreten im SVT wurde von mehreren Kritikern als „desperat“ charakterisiert.

Hintergrund für die heftige Auseinandersetzung ist ein Interview mit dem Vorsitzenden der konservativen Moderaterna, Ulf Kristersson, im Göteborgsposten (GP). Kristersson signalisierte, eine Mitte-rechts-Regierung nach 2022 auch mittels offizieller Tolerierung durch die Schwedendemokraten zu bilden. 

Kristersson hatte bereits 2020 erklärt, daß eine von den Moderaten geführte und mit SD-Mandaten gestützte Regierung unproblematisch sei. Mit dem GP-Interview öffnete Kristersson jetzt offiziell die Tür für eine formelle Tolerierung durch die SD. Moderate (M) und Christdemokraten (KD) sind seit 2018 in einigen südschwedischen Kommunen bereits Koalitionen oder Kooperationen mit den SD eingegangen.

Damit trägt der Kurs von SD-Chef Åkesson, sich von radikalen Parteifreunden zu trennen, weitere Früchte. Die Partei konnte seit 2018 die Rolle des Paria abstreifen und ist nicht mehr so isoliert wie zuvor.

Mit der Aufstellung der Wahlliste für die Reichstagswahl 2018 wurden nahezu alle Vertreter des radikaleren „Bunker“-Flügels um den früheren Vorsitzenden Mikael Jansson aus der Fraktion entfernt. Bereits in der Legislatur 2014/18 waren diverse Vertreter des „Bunker“-Flügels ausgeschlossen (oder verließen wie Jansson die Partei), um die Isolation der SD zu brechen. Dies hatte entgegen Befürchtungen interner Kritiker keine nachhaltigen Verluste in den Umfragen zur Folge. „Um mehr zu werden, muß man manchmal weniger werden“, war Åkessons stete Botschaft um 2015.

Somit hat sich in dieser Legislaturperiode zunehmend ein konservativer Block aus Moderaten, Christdemokraten und Schwedendemokraten als Regierungsalternative zur rot-grünen Minderheitenregierung Löfvens herauskristallisiert.

Auch bei parlamentarischen Gremien und Kommissionen sind die SD nicht mehr prinzipiell außen vor. So wird der SD-Vorsitzende Jimmie Åkesson bei den überparteilichen und regelmäßigen Corona-Krisenberatungen der Parteivorsitzenden mit einbezogen. 

Liberale stehen vor einer Zerreißprobe

Bei der 2019/20 eingesetzten Zuwanderungskommission des Reichstages sowie der kürzlich eingesetzten Verfassungskommision zur Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen sind die SD ebenfalls repräsentiert, nachdem sie zuvor aus überparteilichen und informellen Kommissionen und Übereinkünften ausgeschlossen wurden. Moderate und Christdemokraten kooperieren in den Ausschüssen bereits seit längerer Zeit mit den Schwedendemokraten.

Ob ein konservativer Block M-SD-KD Schweden nach 2022 regieren kann, hängt auch vom Abschneiden und Agieren der beiden kleinen Mitteparteien ab. Diese hatten bis 2018 mit M und KD die Mitte-rechts-Allianz gebildet, welche aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen zur Kooperation mit den SD zerbrach. 

Die linksliberale Zentrumspartei tritt formell ohne Lagerbekenntnis an, dürfte aber nach 2022 erneut mit den Sozialdemokraten zusammenarbeiten, da sie jedwede Kooperation mit den Schwedendemokraten ablehnt.

Das wirkliche Zünglein an der Waage könnten die Liberalen sein. Auch sie lehnten eine Moderate-Regierung mit passiver Tolerierung durch die SD 2018 zugunsten einer rot-grünen Minderheitenregierung ab, sind aber in zwei Lager gespalten. Das eher konservativ-liberale Lager um die Parteivorsitzende Nyamko Sabuni setzt wieder auf eine bürgerliche Regierung und lehnt eine Zusammenarbeit mit SD nicht mehr prinzipiell ab. Das sozialliberale Lager widersetzt sich diesen Plänen. Führende sozialliberale Repräsentanten hatten zuletzt sogar mit dem Austritt im Falle einer nur mit SD-Mandaten zustandegekommenen Mitte-rechts-Regierung gedroht.