© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/21 / 02. April 2021

Erreger aus dem Militärlabor
Kriegsgerät aus der Petrischale: Weltweit forschen Staaten zu Biowaffen und deren Abwehr
Marc Zöllner

Was für eine Aufregung geherrscht hatte, als Nordkoreas Staatsführung im vergangenen Juli plötzlich verkündete: „Wir arbeiten an einer eigenen Corona-Schutzimpfung!“ Zumindest bei den Geheimdiensten der westlichen Welt klingelten in jenem Moment sämtliche Alarmglocken. Das kommunistisch regierte Land hatte laut eigenen Aussagen eine Möglichkeit gefunden, um der globalen Pandemie Einhalt zu gebieten. Was Nordkorea einzig noch brauche, um einen Impfstoff zu entwickeln, sei moderne westliche Technik, um den Erreger Covid-19 zur Erforschung zu kultivieren und ausgiebig auf den Impfstoff zu testen, erklärte Pjöngjang.

Doch die im medizinischen Sektor federführenden Nationen mauerten trotz mehrfacher Offerten des kommunistischen Regimes – zu Recht, wie sich später herausstellte. Das Regime hatte versucht, sich bei den Konzernen Pfizer und Astrazeneca einzuhacken. Immerhin könne Nordkorea „seine legitimen Bestrebungen nach Schutzimpfung dazu benutzen, um seine biotechnologischen Kapazitäten zu verbessern“, mahnte der früherer Berater für ABC-Waffen unter Obama, Andrew C. Weber. „Sie könnten Ausrüstung aus westlichen oder chinesischen Quellen beziehen, welche zur Impfentwicklung nötig wären, und schon im kommenden Jahr ihr Programm umfunktionieren, um damit biologische Waffen zu produzieren.“

Israelischer Impfstoff soll Unabhängigkeit bringen

Wie auch 182 weitere Staaten gehört Nordkorea zu den Unterzeichnern der Biowaffenkonvention der Vereinten Nationen, welche die Herstellung, Lagerung sowie Nutzung biologischer Waffen weltweit unterbinden soll. Nicht alle der Länder verfügen über die Mittel, um Kampfstoffe überhaupt entwickeln zu können. Manche von ihnen schweigen aber aus gutem Grund – beispielsweise zum Selbstschutz der Nation vor latenter äußerer Bedrohung. Einen transparenten Blick hinter die verschlossenen Türen der streng geheimen Laboratorien zu werfen ist hierbei nahezu unmöglich und regt – von den betreibenden Regierungen durchaus auch gewollt – zu Spekulationen an. 

Eine halbe Autostunde südlich von Tel Aviv befindet sich das „Israel Institute for Biological Research“ (IIBR), eingebettet in die malerische Kulisse der israelischen Kleinstadt Ness Ziona. Hohe Betonmauern säumen das Areal. Das IIBR ist eine der weltweiten Top-adressen für Forscher aus Biologie, Chemie und Umweltwissenschaften. Über 41 Prozent seiner Angestellten haben mindestens einen Doktortitel erworben, rühmt sich das IIBR nicht zu Unrecht. Insgesamt sei die Einrichtung auf mehr als 83 Wissensgebieten tätig.

 Vergangene Woche erst hatten sich Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sowie die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen in Israel mit ihrem Amtskollegen Benjamin Netanjahu zum sogenannten „Impfgipfel“ getroffen und sich dabei auch über den Impfstoff „BriLife“ informiert: einen genbasierten Impfstoff, in dessen Fall das „Spike-Protein“, also der äußere Teil der Hülle, eines dem Menschen harmlosen tierischen Virus durch gleichartige Proteine des Covid-19-Erregers ersetzt worden ist. Aufgrund dieses Spike-Proteins sollen die Zellen des menschlichen Körpers lernen, das Eindringen echter Coronaviren zu bemerken und rasch Antigene gegen dieses auszubilden. In Israel ist dieser Impfstoff auch als „IIRB-100“ bekannt. Er soll demnächst mit der Zielsetzung in die dritte Testphase gehen, der israelischen Gesellschaft vom Weltmarkt Unabhängigkeit zu verschaffen. Wie die gesamte Einrichtung wird auch dieses spezielle Projekt direkt und ausschließlich vom israelischen Verteidigungsministerium finanziert.

Das IIBR setzt hierbei auf Techniken, die unter Fachleuten gern als „dual-capable infrastructure“ bezeichnet werden: Als zweifach-geeignete Einrichtungen, um Viren in ihrer Gefahr einerseits ab- und andererseits aufzurüsten. „Das ist die Attraktivität biologischer Waffen“, erklärt Biowaffenexperte Weber. „Man kann sie hervorragend in vollkommen legalen biotechnischen Abteilungen verstecken.“ Offensiv bringt dem israelischen Militär der Einsatz biologischer Waffen keinerlei Vorteile, sind sich internationale Analysten und die israelische Regierung einig. Aufgrund der geographischen Lage des jüdischen Nationalstaats würde auch die eigene Bevölkerung in unkontrollierte Mitleidenschaft gezogen. 

Doch allein das Abschreckungspotential ist enorm; speziell in einer israelfeindlichen Umwelt an Staaten, die bereits mehrfach mit der Auslöschung des Landes mittels biologischer und chemischer Waffen gedroht hatten – allen voran der Irak sowie der Iran. Die tatsächliche Anwendung biologischer Waffen gegen eigene oder fremde Zivilbevölkerungen erfolgte in der jüngsten Geschichte relativ selten. Einer der wenigen Fälle, die auch juristisch bislang komplett aufgearbeitet worden sind, ist aus Südafrika bekannt. In den 1980er Jahren hatte das damalige Apartheidregime die geheime Operation „Project Coast“ ins Leben gerufen, um chemische und biologische Kampfstoffe sowohl gegen befürchtete Aufstände in den schwarzen „Townships“ als auch gegen Aufständische der „Südwestafrikanischen Volksorganisation“ im von Südafrika besetzten Namibia zu entwickeln. 

Der Leiter dieser Operation, der Kardiologe Wouter Basson, wurde nach dem Ende der Apartheid von der einberufenen „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ freigesprochen. Nichtsdestotrotz nutzte Basson seine beim Militär geknüpften Kontakte, um sowohl vor als auch nach dem Fall des Regimes in beratender Tätigkeit auf biologischem Gebiet international tätig zu bleiben, so unter anderem für Israel, Libyen, den Iran und Nordkorea.

USA und Rußland lagern massenweise Erreger

Im Iran, dessen Biowaffenprogramm bis in die Anfänge des Iranisch-Irakischen Kriegs (1980–1988) zurückverfolgt werden kann, steht zumindest das in Karadsch beheimatete „Razi Institut für Impfstoffe und Vakzine“ unter latentem Verdacht, noch immer für Massenvernichtungswaffen geeignete Viren gelagert zu haben. 

Auch Rußland und die Vereinigten Staaten lagern noch immer reihenweise Erreger in Labors wie dem „Fort Detrick“ im US-Bundesstaat Maryland. Vom Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs an bis 1969 erforschte das US-Militär hier den Einsatz von tödlichen Viren als kriegsentscheidende Waffe gegen feindliche Armeen und Zivilbevölkerungen, aber auch gegen landwirtschaftliche Ziele wie Felder und Tierbestände. Im Anschluß jedoch bezog das „Medizinische Forschungsinstitut der US-Armee für Infektionskrankheiten” (USAMRIID) die Einrichtung, die sich seitdem der Erforschung von Abwehrstoffen gegen feindliche Biowaffenarsenale sowie den Ausbrüchen natürlich entstandener Epidemien widmet.

Seit vergangenem Sommer streuen staatliche Stellen in China das Gerücht, das Coronavirus könne aus dieser oder einer ähnlichen US-Einrichtung stammen und absichtlich nach China transferiert worden sein. Mit dem Jenaer Genetik-Professor Günter Theißen fand sich Anfang dieses Monats ein prominenter Forscher aus Deutschland unter den mehr als zwei Dutzend Unterzeichnern eines offenen Briefs, die eine unabhängige und vollständige Untersuchung der Ursachen des Corona-Ausbruchs im chinesischen Wuhan fordern und die von China offiziell behauptete Übertragung des Virus von Tieren auf Menschen zumindest bezweifeln. 

Denn nicht ganz zufällig ist die Großstadt Wuhan auch das Zentrum chinesischer Forschungsanstalten zum Covid-19-Erreger. „Wir haben viele Hinweise darauf, daß die Zoonose-Hypothese favorisiert wird, weil sie wahrscheinlich die politisch unverfänglichste ist“, erklärte Theißen am Wochenende im Interview mit n-tv. „Denn dann hätte die Pandemie eine natürliche Ursache und es gäbe niemanden, der direkt oder indirekt verantwortlich wäre.“ Träfe der Anfangsverdacht zu, daß das Virus aus einem chinesischen Labor stammt, stünde Peking vor einem ausgewachsenen internationalen Skandal und dürfte sich überdies enorm hohen Reparationsforderungen ausgesetzt sehen. Immerhin hat auch China bereits 1984 die UN-Biowaffenkonvention unterzeichnet. Daß die Pandemie absichtlich ausgelöst wurde, kann nur schwerlich in Betracht gezogen werden. 

Nordkorea will technisch überlegen sein

Aufgrund ihrer Ächtung haben biologische Waffen weltweit an militärischer Bedeutung verloren. Mit zwei Ausnahmen: Zum einen in bioterroristischen Planspielen, etwa von islamistischen Gruppierungen, von denen unter anderem Al-Qaida sich schon nachweislich um den Erwerb von Milzbranderregern bemüht hat. 

Zum anderen im Falle Nordkoreas, dessen Führung derzeit auf legalem wie illegalem Weg an Forschungsmaterial zum Covid-19-Erreger zu gelangen versucht. Erst im Juni 2015 ließ sich Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un medienwirksam in Pjöngjangs „Biotechnischem Institut“ fotografieren – als Beweis für die Überlegenheit der nordkoreanischen Technologie. „Nordkorea besitzt 13 Arten von Erregern, welche binnen zehn Tagen als Waffe eingesetzt werden könnten“, warnte das südkoreanische Verteidigungsministerium nach Kims Auftritt und verwies auf eine stete Häufung von Grenzverletzungen durch nordkoreanische Flugdrohnen. 

Seoul zufolge seien sämtliche dieser Objekte zwar lediglich mit Überwachungsinstrumenten ausgestattet gewesen, allerdings hätten hochrangige Überläufer bestätigt, daß an ähnlichen Drohnen bereits „ungenannte biologische und chemische Waffen angebracht und daß die Verbreitungstauglichkeit dieser Drohnen im Anschluß an Tierbeständen erprobt worden sei.





Biowaffen-Konvention

Die Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen ist ein 1971 beschlossener völkerrechtlicher Vertrag der Vereinten Nationen. Dieser hat zum Ziel, die Herstellung, Lagerung und Nutzung biologischer Waffen weltweit zu unterbinden. Die Unterzeichner seien überzeugt, daß eine Verwendung von Biowaffen  „dem Gewissen der Menschheit entgegensteht“, heißt es in dem Abkommen. Zuvor hatte das 1925 unterschriebene Genfer Protokoll den Gebrauch chemischer und biologischer Waffen untersagt, Bestimmungen zu deren Entwicklung aber außen vor gelassen. Jüngster Unterzeichner der Biowaffenkonvention ist die ostafrikanische Republik Tansania, die den Vertrag im August 2019 unterschrieb. Lediglich 14 Länder blieben dem Abkommen aus verschiedensten Gründen bislang fern, darunter die arabischen Militärmächte Ägypten und Syrien, der gescheiterte Staat Somalia, die Militärdiktatur Eritrea sowie der Staat Israel. (zit)